Darf der
Zigarettenrauch ihres Nachbarn in ihre
Wohnung eindringen, inwieweit hat der Raucher Rücksicht zu
nehmen, inwieweit
muss der Nichtraucher Zigarettenrauch tolerieren?
Kommentar zum Entscheid des Obersten
Gerichtshofs im Nov. 2016 von Dr.med. Stefan Strasser:
Ein Nichtraucher
hatte geklagt, weil der Mieter in der Wohnung unter ihm Zigarren
raucht, der
Rauch dringt sowohl tagsüber als auch nachts über das geöffnete
Fenster in
seine Wohnung ein. Der Raucher war nicht von sich aus bereit,
Rücksicht zu
nehmen. Der Oberste Gerichtshof bemühte sich einen Interessenausgleich
herbeizuführen. Die
Entscheidung sieht nun folgendermaßen aus: Innerhalb seiner 4
Wände und auch am
Balkon darf der Raucher weiterhin rauchen, aber er muss zu
bestimmten Zeiten
vermeiden, dass sein Rauch den Nachbar belästigt. In den warmen
Monaten gilt
das während der Nachtstunden und tagsüber für 6 Stunden während
der Essens- und
Ruhezeiten. In der kalten Jahreshälfte muss er nur an 3 Stunden
tagsüber eine belästigende
Rauchentwicklung vermeiden, um dem Kläger ausreichend
Frischluftzufuhr zu
ermöglichen.
Der Oberste
Gerichtshof begründet: „Der im Nachbarrecht gebotene
Interessenausgleich
fordert von beiden
Seiten gegenseitige
Rücksichtnahme und Toleranz.“
Nun ist es aber
so, dass das Problem - der Rauch - ausschließlich vom Raucher
ausgeht.
- Tabakrauch ist im
günstigsten Fall ein Genussmittel, Genuss begründet keine zwingende Notwendigkeit, die eine
Belästigung anderer
rechtfertigt. Natürlich sind Tabakprodukte auch Suchtmittel,
es gibt aber kein
Recht auf uneingeschränkte Suchtbefriedigung. Gegen Süchte
sollte man ankämpfen.
Wenn man das nicht möchte und den Suchtmittelkonsum
aufrechterhält, dann kann
das ebenfalls nicht als Begründung dienen, andere zu
belästigen oder gar zu gefährden.
- Aufgrund dieser
Entscheidung dürfen Raucher
weiterhin anderen den Tabakgestank aufzwingen und sie
belästigen, wenn auch in
vermindertem Ausmaß. Das
hat
allerdings nichts
mit echter Rücksichtnahme zu
tun, es ist lediglich eine Spur weniger rücksichtslos.
- Toleranz wird ebenfalls
ausschließlich vom
Nichtraucher
gefordert. Der „Nicht“-Raucher tut definitionsgemäß
„nichts“ was den
Raucher beeinträchtigen könnte, dem Raucher wird also keine
Toleranz abverlangt.
- Die
„Gegenseitigkeit“ der Rücksichtnahme und Toleranz ist also nicht gegeben. Trotzdem liest man in
der Begründung: „Die
Erwirkung eines zeitlich unbeschränkten Rauchverbots
gegenüber dem Beklagten
kommt tagsüber wegen des auch vom Kläger zu beachtenden
nachbarrechtlichen
Gebots der gegenseitigen Rücksichtnahme nicht in Betracht“.
Wenig Beachtung fanden gesundheitliche
Aspekte. Es konnte laut OGH nicht festgestellt werden, dass
es zu einer
gesundheitsschädlichen Schadstoffkonzentration
kam, oder dass sich die Störung der Nachtruhe, schädlich auf den
Gesundheitszustand des Klägers auswirkte. Die Kinder des
Vormieters litten allerdings
an Atemwegserkrankungen, die seit dem Umzug „verschwunden“ sind.
- Nun lassen sich durch
Passivrauch ausgelöste
Erkrankungen lediglich statistisch beweisen. Im konkreten
Fall ist der Nachweis
kaum möglich.
- Für Personen mit
Atemwegserkrankungen,
speziell für Asthmapatienten sind negative Auswirkungen
trotzdem zu befürchten.
Das Bronchialsystem von Asthmatiker reagiert meist
überschießend. Auch
geringfügige Reize, wie Nebel,
Kälte,
Parfum und eben Passivrauch, können bereits einen Krampf der
Bronchialmuskulatur hervorrufen. Diese Reize können ein
allergisches Asthma
verschlimmern. Die gemessene Schadstoffkonzentration ist
dabei unerheblich.
Tabakrauch war eindeutig zu riechen, das genügt in diesem
Fall.
Es ist zwar erfreulich und
ein kleiner Fortschritt im
Nichtraucherschutz, dass diese Zeitregelung zustande kam, aber das Zeitfenster, in dem
eine Belästigung weiterhin
toleriert werden muss, ist groß.
- Der
OGH hat zwar
festgehalten, dass der
Kläger ein
Grundrecht hat sein Leben rauchfrei
zu gestalten.
Dieses Recht wird vom OGH aber aufgrund des knappen
Zeitfensters auf
grundlegende Bedürfnisse wie Frischluftzufuhr, Essen und
Nachtruhe reduziert.
- Rauchen wird als „ortsübliche Benutzung der Wohnung“ bezeichnet,
der Mieter hat das
Recht seine Wohnung vertragsgemäß zu nutzen. Der OGH ist
sich aber bewusst,
„dass nur die Gewohnheiten des Beklagten (also des Rauchers)
zu einer ortsunüblichen
wesentlichen Störung des
Nachbarn führen, nicht aber umgekehrt.“ Das Recht auf
Rauchen überwiegt scheinbar
trotzdem gegenüber dem Grundrecht des Klägers auf eine von
Tabakrauch
unbelästigte Lebensweise und saubere Atemluft, denn die Stunden, in denen tagsüber geraucht werden
darf, überwiegen
deutlich. Es ist also nicht so, dass dem Raucher
vorgeschrieben wurde, wann
er Zeit fürs Rauchen zur Verfügung gestellt bekommt. Im
Gegenteil, dem
Nichtraucher wird vorgeschrieben, wann er damit rechnen
darf, dass er ungestört
lüften, essen, den Balkon nutzen und bei offenen Fenster
schlafen kann.
Der OGH schreibt: „Sollen
Nichtraucher schon in öffentlichen
Räumen, Gaststätten etc. geschützt werden, so ist ihnen dieser
Schutz umso mehr in ihrer
Wohnung zu
gewähren.“ Ab Mai 2018 sind Nichtraucher in Gaststätten zu 100%
vor Tabakrauch
geschützt, in der eigenen Wohnung ist das weiterhin nicht der
Fall. Das Urteil
ist zwar ein erster Schritt in die richtige Richtung, aber für
Nichtraucher ist
es noch nicht wirklich befriedigend.