Die Schweiz als Zentrale der Zigarettenhersteller     

Rainer M. Kaelin / 24. Nov 2016 - Nur Andorra, Liechtenstein, Monaco und die Schweiz halten sich nicht an die Tabak-Konvention der WHO und schützen die Konzerne. (1)

Red. Das «Tabakprodukte-Gesetz» kommt vor den Nationalrat. Der Bundesrat will ein Werbeverbot für alle Tabakprodukte einschliesslich E-Zigaretten. Doch der Ständerat blockiert und der Nationalrat bremst. Die Interessen der Tabakkonzerne haben Vorrang. Rainer M. Kaelin, FMH-Facharzt für Pneumologie und Innere Medizin und früherer Vizepräsident der Lungenliga Schweiz, zeigt auf, wie die Schweiz zur Plattform der Zigarettenhersteller geworden ist (erster Teil).

Im Juni hatte die Mehrheit des Ständerates den Entwurf des Tabakproduktegesetzes an den Bundesrat zurückgewiesen mit dem Auftrag, die Verbote der Werbung, der Promotion und des Sponsorings daraus zu streichen. Im Oktober beschloss die Gesundheitskommission des Nationalrats, den Gesetzesentwurf nicht an den Bundesrat zurückzuweisen, jedoch etliche Bestimmungen zum Werbeverbot zu ändern. In der kommenden Wintersession berät das Plenum des Nationalrats darüber. Siehe Infosperber: «Setzt sich die Tabaklobby auch im Nationalrat durch?».

Denn mit dem Tabakproduktegesetz geht es neben dem Jugendschutz auch darum, einer Industrie Schranken aufzuerlegen, um die weltweite Epidemie einzudämmen, die unbestritten von ihr verursacht ist. Das von der Weltgesundheitsorganisation veranlasste multinationale Vertragswerk der «Framework Convention Tobacco Control» (FCTC) verpflichtet die Vertragsparteien in ihrem Verantwortungsbereich Regeln einzuführen, die sowohl die verkauften Produkte betreffen, als auch deren Vertrieb, Promotion und Werbung auf nationaler und internationaler Ebene beschränken.

Die FCTC hält expressis verbis fest, dass diese Produkte von der Industrie entwickelt worden sind, um Abhängigkeit zu erzeugen, und dass die Vertragsparteien sich verpflichten, das höhere Rechtsgut der öffentlichen Gesundheit über das Partikularinteresse des wirtschaftlichen Gewinns zu stellen. Ausserdem verpflichten sich die Länder, zu vehindern, dass die Präventionsmassnahmen durch politische und andere Manöver unterwandert werden. Das Vertragswerk ist von fast allen Ländern der Welt unterzeichnet und von deren Parlamenten ratifiziert worden. Auf dem europäsichen Kontinent sind Andorra, Liechtenstein, Monaco und die Schweiz die einzigen Ausnahmen. Die Schweiz hat die Konvention unterzeichnet, jedoch nie ratifiziert und in Kraft gesetzt.

«Tabak trägt zur Moral der Truppe bei»

Während in vielen Ländern der Tabak direkter staatlicher Kontrolle unterstellt ist, war dies in der Schweiz nie der Fall. Dessen Vertrieb, Verkauf, Promotion und Werbung waren bis anhin seltsamerweise im Lebensmittelgesetz geregelt.

Die wohlwollende Behandlung der Tabakindustrie durch den Staat beginnt mit dem Zweiten Weltkrieg. Die Schweiz war eines der wenigen Länder, die den Tabak nicht rationierten. Er wurde sogar in die Massnahmen einbezogen, um der Bevölkerung genügend Nahrung zu gewährleisten. Um wegen erschwerter Importe die heimische Produktion zu erhöhen, lobbyierte damals die «SOTA», die Kooperative für den Ankauf inländischen Tabaks. Deren Präsident, Léon Burrus von der gleichnamigen Zigarettenfabrik in Boncourt (JU), argumentierte, dass der Tabak wie Tee oder Kaffee zur täglichen Nahrung gehöre und dass er zur Moral der Truppen beitrage.

Obwohl Grund bestand, das dem Tabakanbau dienende Agrarland in Kriegszeiten dem Anbau von Weizen zuzuweisen, wurde dessen Anbaufläche vergrössert; die Produktion stieg von 1300 Tonnen im Jahre 1940 auf 2983 Tonnen im Jahre 1945 (1). Es wurde unterstellt, dass das aus Tabakkörnern gewonnene Salatöl, zur «Anbauschlacht» beitrage, obwohl die Kultur einer Hektare Tabak 1000 Stunden Arbeit erfordert, gegenüber lediglich 25 Stunden für eine Hektare Weizen (1).

Der Einfluss der Tabakindustrie war in der Schweiz seit langem gross. Ausländische Tabakindustrien hatten sich seit 1913 mit Ed. Laurens und 1920 mit British American Tobacco (BAT) in der Schweiz niedergelassen. 

Folgenschwer war 1957 der Entscheid von Philip Morris (PM), die Zigarette «Marlboro», ausserhalb der USA in den «Fabriques de tabac réunis» (FTR) in Neuchâtel zu produzieren. Die Marlboro war eine der ersten Zigaretten, welche durch den Zusatz von Ammoniak das Nikotin rascher den Gehirnzellen zugänglich macht (2) und daher bedeutend wirksamer abhängige Raucher erzeugt, was die Verkaufszahlen der Marke rasch bestätigten.

Der schweizerische Markt war und ist für die Industrie attraktiv wegen seiner liberalen Gesetzgebung und weil er auf kleinem Raum kulturell und sprachlich verschiedenartige Konsumentensegmente mit einem hohen mittleren Einkommen zu testen erlaubt.

Heute sind die weltweit grössten Zigarettenfabrikanten (ausser der nationalen chinesischen) mit ihren Welt-Hauptquartieren in der Schweiz heimisch: Philip Morris International PMI, Japan Tobacco International JTI sowie BAT:

Diese Multinationalen arbeiten zusammen in einer Organisation, mit dem Namen «Swiss Cigarette». Dieser Lobbyverband wie auch die Schweizerische Volkspartei und die Christdemokraten unterstützen die «Allianz der Wirtschaft für eine massvolle Prävention» (AWMP), die von EconomieSuisse und dem Schweizerischen Gewerbeverband (SGV) gegründet wurde.

Hansueli Bigler, Direktor des SGV, ist mit der AWMP verbunden. Als FDP-Nationalrat kann er die Interessen der Tabakkonzerne wahrnehmen, ohne sie nennen zu müssen, wenn er die Interessen der «kleinen und mittleren Unternehmen» KMU vertritt. Diese Zusammenarbeit ist gut eingespielt; schon in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts nennen interne Dokumente der Tabakindustrie den SGV «ihren Allierten» (siehe Teil II).

Trotz der Verwurzelung in unserem Land stützt sich die Zigarettenindustrie kaum auf den heimischen Tabak. Im Jahre 2014 wurden hierzulande von knapp 200 Bauern (am Ende des Zweiten Weltkrieges waren es gut 6000) noch 997 Tonnen Tabak erzeugt. Dies entspricht einigen wenigen Prozenten des Rohstoffes für die fast 40 Milliarden Zigaretten, welche 2014 zu mehr als 80 Prozent in die Welt exportiert wurden (3). Die Zahlen spiegeln die wirtschaftliche Realität, welche ohne staatliche Hilfe für den teuren schweizerischen Tabak anders aussehen würde. Vom Gesetzgeber vorgeschrieben, werden nämlich über die SOTA jährlich 14 Millionen Franken Subventionen in den Tabakanbau geleitet, welche aus dem Fonds für die Mitfinanzierung des Inlandtabaks stammen. Dies entspricht 0,3 Prozent des Verkaufspreises der Zigaretten im Schweizer Markt, genauso viel wie der Bund dem Tabakpräventionsfonds zugesteht (4).

Schweiz hebelt EU-Restriktionen aus

Die Schweiz ist für die Konzerne als Absatzmarkt und als Tabakproduktionsland unbedeutend. Trotzdem bietet der Standort im Zentrum von Europa einzigartige Vorteile. Unsere Gesetzgebung, angeglichen, aber nicht identisch mit der europäischen, verbietet zwar den Zigarettenherstellern hierzulande Produkte mit höherem Teer-, Nikotin-, und Kohlenmonoxidgehalt zu verkaufen, als dies auf dem europäischen Markt erlaubt ist. Diese Beschränkung gilt aber nicht für den Export (3).

So werden mit dem Gütesiegel «Swiss Made» in die Ostländer, Asien und Afrika Tabakprodukte exportiert, welche durch ihren höheren Nikotigehalt noch leichter als hier Abhängigkeit erzeugen, und die nirgendwo sonst in der westlichen Welt produziert und exportiert werden dürften. Dies mit den 18'000 Tonnen importierten Tabaks und mit Hilfe der eidgenössischen Subvention, sodass «Schweizer Tabak» zu einem wichtigen Segment der Volkswirtschaft geworden ist, wertmässig vergleichbar dem Export von Schweizer Käse oder Schweizer Schokolade.

So sind die Tabakmultinationalen auch bestens mit der Schweizerischen Wirtschaft vernetzt. Neben dem SGV treten Gastrosuisse (5), EconomieSuisse (6), «Werbung Schweiz» (7) und das parlamentarische Lobbying für sie ein. Schweizer Anwälte vertreten ihre Interessen in internationalen Streitigkeiten, beispielsweise in Uruguay (8).

Weicher Gesetzesvorschlag

Diese Zusammenhänge erklären, warum die vorgesehenen Bestimmungen des Tabakproduktegesetzes, die den Tabakkonsum eindämmen sollten, den Fortschritt der Tabakprävention nur vortäuschen. Denn sie sind weit entfernt von den gesetzlichen Bestimmungen Frankreichs und würden die schweizerische Regelung der derzeitigen deutschen anpassen, welche von allen europäischen die unwirksamste ist (siehe Tabelle ganz am Schluss).

Das Sponsoringverbot, das nur für internationale Manifestationen gelten soll, wird keine Wirkung entfalten: Da aufgrund der internationalen Abkommen über grenzüberschreitende Sportsendungen Tabakwerbung und -Sponsoring verboten sind, ist diese Beschränkung gegenstandslos. Statt ein generelles Werbeverbot, wie von der FCTC vorgegeben, welches auch Zigarettenautomaten und Werbung an Verkaufsstellen umfasst, sieht der Vorentwurf Ausnahmen vor, welche die Massnahmen zwecklos machen.

Denn entgegen den Beteuerungen, die Tabakwerbung richte sich nicht an die Jungen, sondern diene der «Information der Konsumenten» ist die Funktion der Werbung und des Sponsorings grundlegend eine andere (9). Sie bezweckt, Tabakprodukte und Gestik des Rauchens in der schweizerischen Gesellschaft allgegenwärtig zu erhalten, um bei Nikotinabhängigen Rauchverhalten auszulösen und dieses wie Tabakprodukte im kommerziellen und audiovisuellen Umfeld als banal erscheinen zu lassen. Dies ist besonders wirksam bei Kindern, welche wiederholte visuelle Signale als normal erfahren, und dies umso mehr als sie ihnen regelmässig beispielsweise beim Einkaufen mit ihrn Eltern vorgeführt werden.

Vor dem Hintgergrund dieser «Einschränkungen» des Tabakproduktegesetzes erscheint die Entrüstung von «Werbung Schweiz» als pure Gestikulation. Denn der Entwurf des Bundesrats ist in dieser Beziehung ein regelrechter «Blumenstrauss an die Tabakindustrie».

Ein freundliches föderalistisches Umfeld

Die Tabakmultinationalen geniessen bei uns das Ansehen anderer weltweiter Organisationen. Philip Morris und British American Tobacco sind nebeneinander an den Gestaden des Genfersees angesiedelt, im Erholungsquartier von Lausanne/Vidy mit seinen Park- und Sportanlagen, Nachbarn von Nespresso (Nestlé), vom Sitz des Internationalen Olympischen Komitees, des Olympischen Museums und des Internationalen Sportverbandes. In Genf ist JTI Nachbar der Weltgesundheits-Organisation im Quartier der internationalen Organisationen und des UNO-Palastes.

Wirtschaftliche Vorteile gegen Gesundheitsschutz

Eine gewisse Vertrautheit zwischen Tabakindustrie und Politik lässt sich an den fast durchwegs positiven offizielllen Antworten auf die Vernehmlassung zum Tabakproduktegesetz erkennen. Die Argumente der Gemeinde Dagmersellen (LU), Sitz der «Camel»-Fabrik von JTI sind bezeichnend, wie diejenigen vieler kantonaler Stellungnahmen. Dagmersellen weist auf die «überdurchschnittliche Steuerleistung» hin. Der «Beitrag für die Schweizer Volkswirtschaft, auf allen Stufen der Volkswirtschaft, inklusive Tabakanbau...» wird hervorgehoben, und dass das Gesetz «explizit nur für Produkte gelten (sollte), welche für den Schweizer Markt bestimmt sind.»

Dass der Bundesrat per Verordnung gewisse Bestimmungen verschärfen dürfe, wird aus Gründen der «Rechtssicherheit» abgelehnt. Viele Kantone stimmen zu «...nicht zuletzt deshalb, weil die Bestimmunen moderat sind». Die Zürcher Kantonsregierung hält die vorgeschlagenen Regelungen des Sponsorings und der Werbung «...zu weit.» Die Werbung sollte «auf Gegenständen (erlaubt sein), die nicht mit Tabakprodukten in Zusammenhang stehen, wie z.B Sonnenschirmen ... und an Verkaufsstellen». Und wie andere Kantone stimmt er einem national geregelten Abgabealter zu, das allerdings auf 16 Jahre (und nicht auf 18 Jahre) festgesetzt werden sollte.

Kanton Freiburg als erfreulicher Aussenseiter

Als löbliche Ausnahme ist die Stellungnahme des Kantons Freiburg präventionsfreundlich. Die Bestimmungen sollten «die Tabakindustrie daran hindern, Kinder und Jugendliche weiterhin durch Manipulationstaktiken zum Rauchen anzustiften» und dies durch «ein globales Verbot von Werbung, Promotion und Sponsoring». Dies wird mit dem Hinweis begründet, dass die Hälfte der Kommerzialisierungsanstrengungen der Industrie zurzeit in Werbung an den Verkaufsstellen investiert werden. Die Regelungen für die Verpackungen sollten erlauben, sie der europäischen Direktive anzugleichen und durch Verordnung d.h. ohne parlamentarische Entscheidung, die neutrale Zigarettenpackung einzuführen. Diese Forderung ist in keiner andern kantonalen Stellungnahme zu finden.

Die Regierung des Kantons Neuenburg fordert zwar eingangs, dass das Gesetz weiter gehen sollte als der Entwurf: Der Entzug der Verkaufslizenz sollte denen drohen, die sich nicht an das Mindestabgabealter halten. Dann aber geht die Regierung auf die «neuen Produkte der Substitution» ein, die im Entwurf «übermässig restriktiv angegangen werden, in einem Mass, welches drohe, sich im Bereich der öffentlichen Gesundheit als kontraproduktiv auszuwirken».

Der Entwurf wird kritisiert, weil er die «Entwicklung für das zukünftige Fortbestehen eines wichtigen Wirtschaftssektors» nicht wahrnehme. Die «Lösung der Tabakepidemie auf Weltebene» wird durch die Regierung von Neuenburg mit dem Hinweis in Aussicht gestellt, dass damit auch «interessante Perspektiven für den ganzen Wirtschaftzweig» bestehen. Die Verbote der Werbung sollten «noch gelockert werden für die neuen Produkte mit geringerem Risikoprofil», was den «doppelten Vorteil (hätte), die Werbebestrebungen der Industrie auf diese zu konzentrieren, und ihre Verankerung auf dem Markt beschleunigen würde».

Werbung frei für E-Zigaretten

Diese Worte tönen wie ein Echo zu den Stellungnahmen von Professor Etter, Genf (siehe Teil II) und den Promotionsparolen für die elektronische Zigarette. Das Wissen, wie die Tabakkonzerne in diesen Markt investieren, macht den Zusammenhang transparenter. Diese Promotion der E-Zigaretten ist auch eine Forderung des Kantons Waadt: «In Anbetracht der Wichtigkeit der Tabakindustrie für Arbeitsstellen, (sollten) die neuen, potentiell weniger schädlichen Produkte, wie die E-Zigarrette mit oder ohne Nikotin, nicht denselben restriktiven Bedingungen unterstellt werden wie die konventionellen Zigaretten.» Werbevebote sollten in der Kompetenz der Kantone bleiben.

Vernehmlassende ignorieren WHO-Vereinbarung

Zusammenfassend, muss man schliessen, dass die Kantone den Entwurf unterstützen, dass sie darüber hinaus zugunsten der Tabakindustrie Forderungen erheben, die sie mit Föderalismus, Freiheit für Werbung und Förderung der Wirtschaft rechtfertigen. Es fällt auf, dass die «potentiell weniger schädlichen Produkte» als nützlich dargestellt werden für die weltweite Tabakprävention. Demgegenüber wird nirgends auf Nikotin als Abhängkeit erzeugende Droge hingewiesen, und die WHO-Rahmenkonvention, deren Gebot, dass Tabakprodukte durch «tracking and tracing» vom Produzent zum Verbraucher verfolgt werden sollten, wird nur zweimal erwähnt.

Konzernfreundliche politische Parteien

Während die meisten Kantone die Prävention wenigstens erwähnen, wird sie von den politischen Parteien meist ignoriert. Die SVP «lehnt dieses bevormundende und einseitig ideologisch geprägte Gesetz ab. Der Trend der Zurückdrängung der Eigenverantwortung, der Subsidiarität, des Föderalismus, des Marktes, der Selbstregulierung und des Handelns nach Treu und Glauben kann nicht einfach weiter hingenommen werden» .... «Unter dem Vorwand des Jugendschutzes und der Prävention .... resultiert der Ausbau des Staatsapparates durch weitere Kontroll- und Überwachungstätigkeiten .... welche von den Gesundheitsaposteln als ungesund deklarierten Güter kommen als nächstes dran? Alkohol, Fett, Zucker, Salz oder Fleisch?».

Die Wirtschaftsfreiheit wird mit der Tabakindustrie und der individuellen Freiheit der Bürger und Konsumenten als Amalgam in Schutz genommen. Die SVP erklärt weiter: «...Interessant ist hierbei der im Gesetz implizierte Generalverdacht, der eine gesamte Branche haltlos in Misskredit bringt» .... «Tabak ist ein legales und auch kulturhistorisch anerkanntes Produkt, ein Genussmittel, welches in Eigenverantwortung konsumiert werden kann.»

Die Stellungnahme der FDP ist in der Sprache gemässigter, lehnt den Vorentwurf jedoch ebenfalls ab mit den Argumenten der Werbefreiheit, der Rechtsunsicherheit, welche durch das weitergehende Verordnungsrecht des Bundes entstehen würde, und der Gleichsetzung der E-Zigarrette und der neueren Produkte mit Tabakprodukten.

Auch die Parteien in der Mitte des politischen Spektrums nennen dieselben Motive für deren Ablehnung, wenngleich die BDP im Eingangsparagraph die Verbesserung des Jugendschutzes, die Einführung des Mindestalters für den Erwerb von Tabakprodukten und die Regulierung neuer Produkte gutheissen. Die CVP findet, dass der Vorentwurf weit über das Hauptziel des Jugendschutzes hinausschiesst. Einzig das Verbot der Verkaufsförderung von Tabakprodukten wird von dieser Partei unterstützt.

Zusammenfassend stellt man fest, dass die Parteien der Mitte und rechts der Mitte den Vorentwurf als Angriff auf die Wirtschaftsfreiheit ablehnen. Die Sorge des Getzgebers für die Forderungen des WHO-Rahmenabkommens zur Bekämpfung der weltweiten Tabakepidemie, welche seit Jahren zur Ratifizierung auf der Agenda des Parlaments steht, wird keines Wortes gewürdigt.

Die vorgeschobenen Begründungen zeigen eine wenig rigorose Vermischung des Werbeverbotes für ein toxisches Produkt und dem Verbot des Verkaufs oder des Verbrauchs dieses Produktes. Diese Einstellung entspricht der Kommunikationslinie des SGV, welcher im Rahmen der Denigrationskampagne von 2008 gegen den damaligen Direktor des BAG, Professor Thomas Zeltner, die Vertreter der Prävention als «Extremisten» apostrophierte. So unterstellt der SGV dem BAG die Absicht, den Genuss allgemein, und Alkohol, Fett, Salz und Tabak im Besonderen verbieten zu wollen (10).

Bereits der Gesetzesvorschlag war nicht WHO-konform

Die Tabakkonzerne fühlen sich in der Schweiz zuhause. Sie geniessen eine Vorzugsbehandlung durch Subventionen, profitieren von Gesetzen, welche die Promotion des Tabaks erlauben und durch die sie ihre toxischen Produkte in die Welt exportieren können, wie dies sonst nirgendwo in der westlichen Welt möglich wäre. Sie missbrauchen den Föderalismus, der sich nationalen Verboten entgegensetzt und schmeicheln den wirtschaftsfreundlichen politischen Parteien, welche internationalen Konventionen eher abgeneigt sind.

Der Bund und das BAG begünstigen die Tabakindustrie weiterhin. Das Verhalten der Politik und der Wirtschaft erlauben den Schluss, dass eine gewisse Einschüchterung schon während der Vorbereitung zum Tabakproduktegesetz wirkte. Denn tatsächlich hätte man von einem Gesundeitsminister erwarten dürfen, dass er einen Gesetzesentwurf vorstelle, der den Forderungen der öffentlichen Gesundheit und denen der internationalen Empfehlungen entsprechen würde. Das hätte die Parlamentarier vor ihre Verantwortung gestellt und hätte zu sehen erlaubt, ob sie dem Druck der Zigarettenlobby nachgeben würden oder eben nicht, indem sie die Bestimmungen des Gesetzesentwurfes zugunsten der Tabakindustrie verwässern würden.

Angesichts der Toxizität der Zigarette und der weltweiten Tabakepidemie, die sie verursacht, lässt sich der vorliegenden Entwurf zum Tabakproduktegesetz nur dadurch erklären, dass in der Schweiz kein Wille besteht, Transparenz zu schaffen. Die Finanzierung der politischen Parteien, die finanziellen und anderen Verbindungen zwischen Wirtschaftsorganisationen und Medien, sowie das Lobbying im Parlament sind keiner zwingenden Verpflichtung unterstellt, öffentlich zugänglich zu sein.

Infolgedessen ist die Stellung der Tabakindustrie als politischer Einflussnehmer ein Tabu geblieben. Umso leichter finden ihre Mittelsmänner offene Ohren während politischen Entscheidungen. Die Diskussion kann sich dann auf die Argumente einer liberalen Wirtschaft beschränken, während die Toxizität des Tabaks und der Droge Nikotin ignoriert werden.

Experten der Prävention haben es dagegen schwer, ihre Argumente an die Öffentlichkeit und in die Politik zu tragen, denn die Medien vernachlässigen das Thema Prävention.

Daher können Bürger und Öffentlichkeit sich dazu keine Meinung bilden, was nötig wäre, da nur sie Druck auf die Parlamentarier ausüben könnten, damit sich diese bewusst werden, wie viel mit dem chronischen Tabakkonsum im öffentlichen Gesundheitswesen auf dem Spiele steht.

Regelungen im geltenden Gesetz (CH), im Entwurf zum TabPG (Tabakproduktegesetz) verglichen mit den Bestimmungen Deutschlands DE und Frankreichs FR. Modifiziert nach ref. 3. und Lungenliga Schweiz 2016:

X=verboten; T=wie Tabak.
Quelle: http://www.infosperber.ch/Artikel/Gesellschaft/Tabak-Die-Schweiz-als-Fluchtort-der-Zigarettenhersteller

Referenzen:

1. Martine Brocard : le Tabac en Suisse, une histoire qui dure. Swissquote, 3 Juillet 2015, 52-55.

2. R.R. Johnson: «Ammonia technology minute», B&W 12.June 1989. Minn.Trial Exhibit13,069. Zitiert in Gerard Dubois: le rideau de fumée. Kapitel «une camisole chimique». Seuil, Paris. 2003.

3. Wirtschaft gegen übermässige Prävention. NZZ 30.05.2008

4. Thomas Angeli, Otto Hostettler : Das Geschäft mit dem Gift. Beobachter 22/2014, 23-29.

5. Die Resolution «für Lebensfreude und die Freiheit zu konsumieren» 4.06.1996 von GastroSuisse entspricht weitgehend derjenigen des internationalen HO-Re-Ca- Kongresses, der von PM gesponsert wurde, und an dem Florian Hew, bis 2010 Direktor von GastroSuisse, einer der Hauptredner war. Die Resolution wird in einem internen Dokument, datiert 19.Juni 1996 von PM so kommentiert : «Diese Resolution ist das Resultat der direkten Zusammenarbeit zwischen PM und GastroSuisse».

6. Thomas Pletscher, EconomieSuisse: Consultation on the exposure draft Tobacco Plain packaging Bill 2011 and Consultation Paper, to Department of Health and Ageing. Canberra Australia. May 19.2011.

7. PS Publicité Suisse und WS Werbung Schweiz sind seit 2016 unter dem Namen Kommunikation Schweiz/Communication Suisse zusammengeschlossen. (www.ks-cs.ch) In seinem Kommunikationsrat ist PM durch Julian Pidoux vertreten. Unter den Mitgliedern der Auftraggeber finden sich PM, JTI und BAT. Der Präsident von KS/CS, Ständerat Filippo Lombardi, erklärt am 14.01.2016: «Das Hauptaugenmerk liegt zurzeit in der Politik... Der Ruf nach Einschränkungen der kommerziellen Kommunikation (wird) immer lauter... (Es) braucht Mut zur Wahrhaftigkeit. Man muss die Unaufrichtigkeit, die sich hinter den Rufen nach Werbeveboten zeigt, ansprechen... Denn wenn man schon überzeugt ist, dass Produkte, – weshalb auch immer – den Konsumentinnen schaden, soll man ehrlicherweise die Produkte verbieten – und nicht die Werbung dafür. Was legal zu kaufen ist, soll auch beworben werden dürfen.»

8. Die Zeitonline (9.08.2015): Wie Konzerne Staaten vor sich hertreiben. Philip Morris gegen Uruguay. Aufgrund eines Investitionsschutzabkommens von 1991 zwischen der Schweiz und Uruguay fordert die Multinationale vom Staat Urugay einen Schadenersatz von 2 Mia USD, was ca. 1/6 des Staatshaushaltes entspricht. Diese Forderung wird begründet mit den durch die Tabakverbote bedingten Handels- und Werbebeschränkungen. Gemäss Peter Niggli von Alliance Sud sieht das Abkommen Ausnahmen im Interesse der Allgemeinheit vor und ist «einseitig, da es den Investoren Rechte und den Gastländern Pflichten (einräumt)». Der Fall wurde im Juli 2016 vom Schiedsgericht der Weltbank zugunsten Uruguays entschieden.

9. Michela Canevascini, Hervé Kündig, Héloise Perrin, Claudia Veron: Observatoire des stratégies Marketing pour les produits du tabac en Suisse romande, 2013-2014. Cipret Vaud 2014. (www.observatoire-marketing-tabac.ch

10. Noirjean H.: Direkt zurück an den Absender. Schweizerische Gewerbezeitung 19.02.2016.

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Dieser Beitrag erschien in leicht anderer Form in der Schweizerischen Ärztezeitung.


Die Manipulation der Tabakindustrie ist legendär

Rainer M. Kaelin / 27. Nov 2016 - Parlamentarier wollen das neue Tabakproduktegesetz zugunsten der Industrie verwässern. Auf Kosten einer wirksamen Prävention.

Red. Der Nationalrat debattiert in der Wintersession über ein Tabakproduktegesetz. Grosse Tabakkonzerme, die in der Schweiz ihr Hauptquartier aufgeschlagen haben, zählen weiterhin auf eine Sonderbehandlung. Rainer M. Kaelin, FMH-Facharzt für Pneumologie und Innere Medizin sowie früherer Vizepräsident der Lungenliga Schweiz, zeigt auf, mit welchen Methoden die Industrie ihre Interessen durchsetzt. Mit Erfolg, wie die ausgewertete Vernehmlassung zeigt. (Zweiter Teil)

Gewerbe und Werbewirtschaft auf Seiten der Tabakkonzerne

Das vom Bundesrat vorgeschlagene Tabakproduktegesetz wird ein «Alibigesetz», denn es entspricht weitgehend den Wünschen der Tabakindustrie und ignoriert die Vorgaben der Rahmenkonvention der WHO zur Kontrolle des Tabakkonsums (Framework Convention on Tobacco Control, FCTC). Die Schweiz hat diese Konvention zwar unterzeichnet, aber als eines von ganz wenigen Ländern nie ratifiziert.

Seit dem Zweiten Weltkrieg begünstigen Staat und Politik die Tabakindustrie in unserem Land. Die grossen Multinationalen Philip Morris (PM), British American Tobacco (BAT) und Japan Tobacco International (JTI) sind wichtiger und einflussreicher Bestandteil der Wirtschaft geworden.

Öffentlich treten diese Firmen selten in Erscheinung. Sie stützen sich seit Jahren auf die Organisationen GastroSuisse, WerbungSchweiz und den Schweizerischen Gewerbeverein (SGV). Die Medien, mehr und mehr von den spärlicher werdenden Einkünften aus der Werbung abhängig, übernehmen weitgehend die Argumentation dieser starken Lobby (siehe Teil I: «Die Schweiz als Zentrale der Zigarettenhersteller»).

Der Einfluss der Tabaklobby manifestierte sich diesen Sommer: Die Mehrheit des Ständerates wies den Entwurf zum Tabakproduktegesetz an den Bundesrat zurück, mit dem Auftrag, die – ohnehin nur fragmentarischen – Werbeverbote zu streichen. Die Rahmenkonvention der WHO FCTC wurde mit keinem Wort erwähnt. Trotzdem behauptete die Kommission, die Jugend schützen zu wollen.

Soweit konnte es nur kommen, weil es in den vergangenen Jahren massiven PR-Aktionen gelang, strukturelle Massnahmen der Tabakprävention zu verhindern oder zu verzögern. Im Einklang mit dem Verhalten des Staates und vieler Politiker, mit den Medien als Komplizen, erklären solche Aktionen das Wohlwollen gegenüber dem Tabak in der Zivilgesellschaft und in den akademischen Institutionen unseres Landes.

Von den Nichtrauchertischen zur Passivrauchinitiative

Seit 1987 hatte PM mit der Agentur Burson Marsteller (1) die Vereinigung der Cafés und Restaurants (heute GastroSuisse) mit folgender Botschaft kontaktiert: Das Einvernehmen zwischen Raucher und Nichtraucher ist eine Frage der Toleranz, der Höflichkeit und ... der Raumventilation. Eine Konvention zwischen der Zigarettenindustrie (Schweizerische Vereinigung der Zigarettenfabrikanten, heute SwissCigarette) und den Gastwirten ermöglichte PR-Aktionen in den Gastwirtschaftsbetrieben (2).

Und dies mit offensichtlichem Erfolg. Im Kanton Luzern zum Beispiel lehnte es der Grosse Rat 1990 ab, durch Gesetz Nichtrauchertische in Restaurants einzuführen. In einer internen Notiz kommentierte PM: «Dieses positive Resultat ist den beträchtlichen Bemühungen des Präsidenten der Café- und Restaurantvereinigunng und des Direktors des kantonalen SGV zu verdanken ... Diese zwei Allierten, Mitglieder des Kantonsparlaments, waren über unsere Argumente gebrieft worden (Toleranz, Höflichkeit und Qualität der Innenluft) (3).»

Erfolgreiche Kampagne gegen die «Zwillingsinitiative»

Die «Zwillingsinitiative» von 1993 hatte zum Ziel, das seit 1965 bestehende Werbeverbot für Alkohol und Tabak in Radio und Fernsehen zu verallgemeinern. Vor der Abstimmungskampagne verschwanden die Tabakreklamen vollständig aus den Werbeflächen. Stattdessen sah man von WerbungSchweiz gezeichnete Plakate «Werbeverbot» mit der Aufforderung «Nein» zu stimmen. Damit wurde die Idee verbreitet, das Volk hätte nicht über ein Werbeverbot für Alkohol und Tabak zu entscheiden, sondern es gehe bei der Abstimmung um ein allgemeines Verbot der Werbung. Die Initiative wurde mit 75 Prozent Nein-Stimmen verworfen.

Die Argumente der damaligen öffentlichen Debatte lassen die Strategie der PR-Agenturen erkennen, das heisst:

Man erkennt dieselbe Strategie während der Abstimmungskampagne der Volksinitiative «Schutz vor Passivrauchen» wieder. Es wurde unterstellt, die Initiative wolle das Rauchen verbieten. Man findet diese Argumentation zurzeit ebenfalls wieder in den Stellungnahmen der Kantone und einiger politischer Parteien als Antwort auf die Vernehmlassung zum Tabakproduktegesetz. (siehe 1. Teil)

Interne Dokumente der Industrie skizzieren die PR-Methode, um Werbeverbote zu verhindern oder zu behindern. Drei Stossrichtungen sind vorgezeichnet:

Diese Kommunikationslinie erwies sich als erfolgreich. Die Behauptung, die Zigarettenwerbung richte sich als legitime Information an den erwachsenen Raucher und ziele nicht auf die Jugend, verschleiert die Tatsache, dass Tabakwerbung primär die Funktion hat, ein Produkt, das toxisch ist und abhängig macht, als ein Konsumprodukt wie ein anderes erscheinen zu lassen.

Seine regelmässige Erwähnung in Verbindung mit Alkohol führte dazu, dass die Diskussion um Präventionsmassnahmen nichts Konkretes brachte. Mit dem Einbezug von Alkohol konnte man leicht Verwirrung stifften. Tatsächlich aber bedingen die beiden Substanzen grundsätzlich verschiedene Präventionsansätze: für Alkohol ist mässiger Konsum entscheidend und eine passive Exposition steht nicht zur Diskussion, während beim Rauchen jegliche Exposition vermieden werden sollte, auch von passiv betroffenen Personen.

Mit der parlamentarischen Initiative des damaligen FDP-Ständerates und Präventionsmediziners Felix Gutzwillers von 2004 begann die Debatte über den Schutz der Bevölkerung vor Passivrauchen. Der Bericht der Gesundheitskommission des Nationalrates stützte sich auf eine solide wissenschaftliche Basis, um in der Schweiz den rauchfreien Arbeitsplatz für alle einzuführen.

Das Parlament hatte jedoch auf seiner Agenda gleichzeitig das Präventionsgesetz. Es wurde für die Industrie wichtig, sowohl die Prävention als solche als auch seinen offiziellen «Anwalt», das Bundesamt für Gesundheit (BAG), zu diskreditieren. Dies war das Ziel einer gegen seinen Direktor Professor Thomas Zeltner gerichteten Herabsetzungskampagne. Die Zeitung des Gewerbeverbandes apostrophierte Zeltner 2008 als «Ayatollah der Prävention».

Der Begriff wurde in der Fernsehsendung 10vor10 weiter verbreitet und mit einigen Varianten wiederholt, wenn von Prävention die Rede war.

Beda Stadler: «Erfindungen von Extremisten»

Ärztliche Kollegen wie Professor Beda Stadler sind ebenfalls für den schlechten Ruf der Prävention verantwortlich. Der frühere Immunologe der Universität Bern vermischte in seinen Kolumnen in der NZZ und der Weltwoche auf unterhaltende, aber intellektuell unredliche Weise gesunde Ernährung, Gesundheitsförderung und Schutz vor Passivrauchen und verschrie sie allesamt als moralisierende Eingriffe des Staates in die individuelle Freiheit. Wissenschaftliche Befunde über die Abnahme der akuten Koronarsyndrome nach Einführung der Passivrauchregelungen disqualifizierte Stadler als Erfindungen von Extremisten.

Auf diese Weise wurde es «politically correct» zu behaupten, die Prävention sei ein Angriff gegen die individuelle Freiheit. Diese Auffassung widerspiegelt sich in der Mediendebatte um das Tabakproduktegesetz. Es fällt weitegehend unter den Tisch, weshalb in einem liberalen Rechtsstaat die Werbefreiheit nicht absolut sein kann. Feuerwaffen, Antibiotika, konzentrierte Salzsäure, Tretminen und Ähnliches sind legal erhältlich. Dennoch ist Werbung dafür verboten oder genau definierten Bestimmungen unterstellt, ganz einfach weil diese Produkte gefährlich sind.

Auch Tabak gehört zweifelsfrei zu den gefährlichen Produkten. Sein «legaler Status» ist nur durch die historische Entwicklung zu erklären. Es ist heute unvorstellbar, dass ein Produkt, das bei üblichem Gebrauch die Hälfte seiner Gebraucher umbringt, zum Verkauf zugelassen würde. Und erst recht würde keine Werbung dafür erlaubt.

Dies geschieht in einer Gesellschaft, welche von Gesetzes wegen die Produktehaftung, das Tragen der Sicherheitsgurten, Warnhinweise auf allen technischen Apparaten und vieles mehr vorschreibt. Ein umfassendes Verbot der Tabakwerbung bedeutet kein Verkaufsverbot, sondern verfolgt das legitime Ziel: die Banalisierung des Tabakkonsums zu verhindern. Es stellt daher die Minimalforderung für den Jugendschutz dar.


Die elektronische Zigarette

Ihre Promotoren und die Verfechter eines freien Marktes bagatellisieren die Rolle sowie den Einfluss der Werbung ganz besonders dann, wenn es um E-Zigaretten geht. Die kommerzielle Realität sieht anders aus:

Die Tabakkonzerne haben massiv in die elektronische Zigarette investiert. Sie liefert den nikotinabhängigen Verbrauchern ihre Droge preisgünstig und «ohne die Schädlichkeit des Tabaks».

Es ist nicht plausibel, dass die Industrie beabsichtigt, ihre tabakabhängigen Kunden von ihrer Abhängigkeit zu befreien. Vielmehr ist davon auszugehen, dass diese Industrie darauf abzielt, den Nikotingebrauch bei den Jungen mit Hilfe des neuartigen Gadgets E-Zigarette zu popularisieren und sie weiterhin nikotinabhängig zu machen. Früher oder später werden diese Konsumenten von der elektronischen Zigarette also zur weit wirksameren Verabreichungsmethode, dem Original der Tabakzigarette, greifen, von der sie lange Jahre abhängig bleiben.

Darin besteht die grosse Gefahr, wenn für E-Zigaretten geworben werden darf. Keine Werbung braucht es dafür, dass sie starken Rauchern, helfen können, gesundheitsschädigende Stoffe wie Teer in den üblichen Zigaretten zu vermeiden und allenfalls schrittweise von ihrer Sucht loszukommen.

Bereits aber sind die elektronischen Zigaretten als vielfarbige Spielzeuge in den Pausenhöfen der Schulen angelangt (5), und sie erweisen sich als geeignet, den Griff zur ersten Tabakzigarette bei Jugendlichen vorzubereiten (6). Das Gadget ist auch ein Marketingmittel, das unter Rauchern, Politikern, Erziehungsverantwortlichen und Ärzten Verwirrung stiftet.

Nicht wenige lassen sich instrumentalisieren. So gleicht die Diskussion um die «Schadensverminderung» durch die elektronische Zigarette sehr dem früher bekannten Verkaufsargument der «milden» Zigarette, deren unverminderte Toxizität in den Achtzigerjahren demaskiert wurde (7).

Es bestehen wenige Zweifel darüber, dass die Kontroverse um die elektronische Zigarette von der Industrie gefördert und benutzt wird, um Nikotin als ein banales Genussmittel darzustellen.

Die desinformierte Zivilgesellschaft

Die Worthülsen «individuelle Freiheit», «Eigenverantwortung statt staatliche Prävention», «Prävention ist Bevormundung», «Werbung ist Information des erwachsenen Konsumenten», «Tabak, historisches Genussmittel, ist Teil unserer Kultur» gehorchen einer Kommunikationsstrategie, die zu vertuschen sucht, dass die Industrie eine weltweite Tabakepidemie verursacht und unterhält, deren Grundlage die abhängigmachende Droge Nikotin ist.

Diese Strategie zeigt Erfolg, wie die Antworten auf die Vernehmlassung zum Tabakproduktegesetz zeigen. So akzeptiert das Konsumentenforum KF in seiner Stellungnahme nur die Einführung des Verkaufsverbotes an Minderjährige und die Weiterführung des Werbeverbotes, welche auf Jugendliche zielt. «Der Rest des Tabakproduktegesetzes wird vehement abgelehnt.»

Die Konsumenten, welche auch Eltern, Steuerzahler und Prämienzahler bei Krankenkassen sind, wissen um die Kosten des Tabakkonsums. Dennoch behauptet das von der Wirtschaft mitfinanzierte Konsumentenforum, dass «das Verteufeln von Tabakprodukten aus der Sicht des Konsumentenforums keine Strategie (ist), welche weiteren Erfolg bringt ... Die Mündighkeit ... wird nicht verstärkt, ... weil nicht zwischen Genuss und Sucht differenziert wird.»

Der Entwurf zum Tabakproduktegesetz wird auch von Gesundheitsorganisationen erstaunlich unkritisch beurteilt. So begrüssen die in 14 Vereinigungen insgesamt 52'000 Mitglieder des «Schweizerischen Verbandes der Berufsorganisationen im Gesundheitswesen» «die vorgeschlagenen Elemente zur weitergehenden Einschränkung der Werbung, der Verkaufsförderung und des Sponsorings, sowie ein Verbot der Abgabe von Tabakprodukten an und durch Minderjährige», ohne jedoch auf die Lücken des Verbotes einzugehen.

Auch der «Verein der leitenden Spitalärzte» meint: «Obwohl die allgemeinen Bestimmungen betreffend Werbung und Sponsoring von Veranstaltungen noch zu wenig restriktiv sind, können wir mit dieser Gesetzgebung leben. Wir hoffen indessen, dass die Gesetzesvorlage vom Parlament nicht mehr weiter verwässert wird.»

Leider wurde die ausführliche, kritische Stellungnahme der FMH erst sehr spät, am 26. November 2015, mehr als ein Jahr nach Beginn der Vernehmlassung, erarbeitet und in der Schweizer Ärztezeitung SAeZ (8) veröffentlicht. Sie deckt sich weitgehend mit der Haltung der Allianz für ein wirksames Tabakproduktegesetz. Diese Stellungnahme hätte anderen Organisationen als Vorlage dienen können und mit mehr Nachdruck dem BAG gegenüber die offensichtlichen Lücken des Vorentwurfes unterstrichen.

Gleiches hätte man von «Swiss Public Health» erwartet, der Organisation, welche die universitären Institute für Sozial- und Präventivmedizin vereint. Diese hat sich erstaunlicherweise nie öffentlich zum Tabakproduktegesetz beziehungsweise zur Tabakprävention allgemein geäussert. Auf das Schweigen der ärztlichen Experten als aktive Hilfe an die von Präventionsgegnern orchestrierte Desinformation ist an anderer Stelle hingewiesen worden (9).

Die paradoxeste Stellungnahme zum Vorentwurf des Tabakproduktegesetzes kommt von Professor Jean-François Etter vom «Institut de santé globale» der medizinischen Fakultät der Universität Genf, mitunterzeichnet von europäischen Kollegen (10). Der Kommentator begrüsst die vorgesehene Zulassung der nikotinhaltigen E-Zigarette, aber er ist besorgt, dass diese Geräte unter das Tabakproduktegesetz fallen und damit denselben Restriktionen unterworfen werden sollen wie die weit schädlicheren Tabakprodukte: «Werbung für elektronische Zigaretten sollte weniger beschränkt werden als für Tabakprodukte ... dies würde gewährleisten, dass Raucher über diese Produkte informiert sind und ermutigt werden, von der Verbrennungszigarette auf sicherere Produkte umzusteigen ... Die Anwendung einer Gesetzgebung, die primär für Verbrennungstabak gedacht ist, auf elektronische Zigaretten wird Wirkungen zeitigen, welche den Zielen (Begrenzen der toxischen Effekte des Tabakkonsums) gegenläufig sind ... Übermässige Beschränkungen der Werbung und hohe Steuern werden die Entwicklung des Marktes der elektronischen ZIgarette behindern.»

Diese Aussagen wiederholen, oft wörtlich, die Stellungnahmen der Kantone Neuenburg und Waadt, welche mit dem Tabakproduktegesetz die lokale Wirtschaft fördern wollen (Teil I). Jean-François Etter hat seine Argumentation in professionellen (11) und Laienpublikationen (12) oft wiederholt. Er behauptet, das Spiel des freien Marktes werde die Nachfrage der E-Zigarette unter den Rauchern, die aufhören möchten, steigern und diese würden von der Tabakzigarette auf «weniger toxische Produkte» umsteigen. Dies würde den Tabakkonsum «automatisch» reduzieren und der Tabak-Epidemie weltweit Schranken setzen. Deswegen sollte für die E-Zigarette frei Werbung gemacht werden dürfen.

In diesen Überlegungen stellt man Ungereimtheiten fest: Falls die elektronische Zigarette eine echte Konkurrenz zur Tabakzigarette wäre, sollte sie eine wirksame Rauchstopphilfe sein, was nicht der Fall ist. Eine weite Verbreitung und Förderung der E-Zigaretten banalisiert das Rauchen und bietet der Tabakepidemie keinen Einhalt. Denn die meisten Raucher von E-Zigaretten werden zu Doppelkonsumenten, das heisst sie «vapen» E-Zigaretten und rauchen Tabakzigaretten – ganz so wie es die Tabakkonzerne wünschen. Die Konzerne wollen ihren Zigarettenabsatz sicher nicht gefährden.

Konzerne wollen ihren Zigarettenabsatz nicht gefährden

Es ist nicht plausibel, dass die Tabakkonzerne massive Summen in den Markt der E-Zigaretten investieren, um ihren Kunden zu helfen, sich von ihrer Tabakabhängikeit zu befreien. Anders ausgedrückt: warum würden sie ihren eigenen Primärmarkt sabotieren wollen?

Offensichtlich ignoriert der Genfer Professor Etter das starke Potenzial des Nikotins, Abhängigkeit zu erzeugen und zu erhalten. Auf dieser Abhängigkeit beruht das Geschäft mit den industriell hergestellen Tabakzigaretten.

Es wäre von öffentlichem Interesse, dass Professor Jean-François Etter offenlegt, ob er aus Kreisen der Tabakindustrie geldwerte Leistungen bezieht.

Instrumentalisierung der akademischen Institutionen

Die Frage ist nicht aus der Luft gegriffen. Der Schweizerische Verband der Zigarettenfabrikanten SVZ (heute Swiss Cigarette) investierte zwischen 1962 und 1994 jährlich mehrere Hundertausend Franken in die Grundlagenforschung und in die Forschung zur Atemphysiologie in allen universitären Institutionen der Schweiz. Von 1962 bis 1977 wurde Professor Etienne Grandjean und seine Gruppe an der ETH für Studien zur Passivraucherexposition bezahlt. Die Finanzierung wurde unterbrochen, weil seine Mitarbeiterin die Gesundheitsfolgen der exponierten Versuchspersonen veröffentlichte, was nicht dem Forschungsplan des SVZ entsprach.

Professor Karl Baettig von der ETH Zürich leitete von 1964 bis 1994 vom SVZ finanzierte Forschungen über die Psychopharmakologie des Nikotins. Professor Dauwalder von der Universität Lausanne erhielt während Jahren Finanzierungen für seine Arbeiten zur Verhaltenspsychologie. Er war Mitglied einer Gruppe von Soziologen, Psychologen, Ethikern und Wissenschaftlern, genannt ARISE, welche von PM seit 1988 finanziell unterstützt wurden, um die Wirkung der «kleinen täglichen Freuden» (wie Schokolade, Kaffee, Wein, Süssigkeiten sowie der Genusszigarette) auf das psychische Gleichgewicht zu erforschen.

Professor Ragnar Rylander vom Institut de médecine sociale et préventive der Universität Genf (heute Institut de médecine globale), gleichzeitig Professor an der Universität Göteborg, erwies sich 2003 als «unabhängiger» Wissenschaftler, der sich heimlich von Philip Morris International PMI jährlich zwischen 80-100'000 Dollar bezahlen liess. Er hielt am «wissenschaftlichen Zweifel» über die Toxizität des Passivrauchens fest, obwohl dies seinen eigenen Forschungsresultaten widersprach.

Rylanders Wissenschaftsbetrug war Gegenstand eines langen Gerichtsprozesses (13), der durch seine Klage auf Verleumdung ausgelöst worden war. Dennoch verurteilte die Universität Genf sein Verhalten, wenn auch sehr zögerlich.

Die Universität Genf hatte schon 2001 ihren Mitgliedern empfohlen, keine Finanzierungen durch die Tabakindustrie anzunehmen. Dennoch verfasste Professor Andreas Auer 2005 ein Rechtsgutachten für JTI , das während der kantonalen Kampagne für die Passivrauchgesetzgebung veröffentlicht wurde. Er schloss, dass «es nicht bewiesen (sei), dass Passivrauchen der Gesundheit schade», und dass die vorgesehene Gesetzgebung gegen die Verfassung verstosse, da sie in unverhältnismässiger Weise die individuelle Freiheit beschränke.

Ohne die Empfehlungen der WHO zu berücksichtigen hatte er sich auf Studien abgestützt, welche ihm JTI zur Verfügung gestellt hatte. Diese hatten eine ältere Population untersucht, was von den Epidemiologen schon lange als inadäquat erkannt worden war, um die gestellte Frage zu beantworten.

Die aktuellen Studien der Professoren Kaul und Wolf der Universitäten Zürich und des Saarlandes zum «plain packaging» (neutrale Zigarettenpackung, welche weder Logo noch spezifische Schriftzüge aufweist), sind von zweifelhafter Qualität. Sie wurden von PMI finanziert, die sich im Vertrag das Recht ausbedungen hatte, bei der Formulierung der Schlussfolgerungen mitzureden (16).

Diese wurden mit Recht kritisiert, da die angewandte statistische Methode nicht adäquat ist, um zu folgern, dass das «plain packaging» in Australien nicht zu einer Verminderung der Raucherzahlen beigetragen habe. Diese Aussage sei irreführend. Der Rektor der Universität wurde aufgefordert, die Studie zurückzuziehen, was er verweigerte, obwohl eine Neuanalyse des Datenmaterials mit einer anderen statistischen Methode zum gegenteiligen Schluss kommt (17).

Die Tabakkonzerne schleichen sich in die akademische Welt ein und verfolgen damit systematisch ihre Ziele. Man stellt fest, dass die Institutionen verspätet reagieren, um die Angriffe auf ihre Integrität zu sanktionieren. Die Öffentlichkeit ist kaum über diese Interessenkonflikte innerhalb der Universität informiert, da die Medien selten und meist lückenhaft darüber informieren.

Wiederholt irregeführt und manipuliert

Die Tabakindustrie hat sich in der Schweiz eingenistet, weil sie von den Vorteilen eines liberalen, im geographischen Zentrum Europas gelegenen Staates profitieren konnte. Sie hat sich in der Schweiz verwurzelt, besonders seit die USA ihr Geschäft zunehmend gesetzlich einschränkten.

Obwohl das vorgeschlagene Tabakproduktegesetz die Prävention noch zu wenig ernst nimmt, bekämpft es die Industrie. Die parlamentarische Debatte und die Mehrheitsentscheide in diesem Seilziehen werden aufzeigen, wieweit unsere Volksvertreter sich der Manipulationen bewusst sind, deren Gegenstand sie sind. Sie sind aufgerufen sich zu positionieren und zu beweisen, dass sie willens sind, das höhere Interesse der Gesundheit ihrer Wählerinnen sowie Wähler den Druckversuchen und zweifelhaften Manövern der Industrie vorzuziehen.

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Referenzen zu diesem zweiten Teil:

1. An accomodation strategy in EEMA. A strategic brief. 1990.05.07. Bates No 201 181862_1887 URL.www.pmdocs.com

2. Document «Switzerland 1987 Objectives Philip Morris (...) regelmässig werden in der Zeitschrift der Hotel/Restaurants Vereinigung Artikel zum Thema Passivrauchen veröffentlicht, ohne Erwähnung der Tabakindustrie. Eine Konvention wurde unterzeichnet zwischen SVZ und der Hotel/Restaurant Vereinigung, welche eine PR-Kampagne in 1800 Restaurants ermöglicht». BatesNumber 2501240585_0599URL www.pmdocs.com

3. Raymond Pantet, Director of public affairs. Philip Morris, July 12. 1990 (Bates Number 2024195742).

4. R.J. Reynolds A.G. Switzerland : Swiss Advertising Ban. Case study. November 28.1993.

5. Barben J.: Die E-Zigarette: eine neue Gefahr für unsere Kinder. Pädiatrica. vol 25, Nr 3. 2014.

6. Leventhal A.M., Strong D.R., Kirkpatrick M.G., et al.: Association of Electronic Cigarette Use With Initiation of Combustible Tobacco Smoking in Early Adolescence. JAMA; 314(7): 700-707.

7. Department of Health and Human Services; The health consequences of smoking. The Changing Cigarette. Report of the Surgeon General. 1981.

8. Weil B.: Prise de position: Interdiction de la publicité pour le tabac. Bulletin des médecins suisses. 2015;96(48),1750-1751

9. Kaelin R.M.: Le silence des experts médicaux (3). La responsabilité publique des médecins au sujet de l' initiative «Protection contre la fumée passive». Bioethica Forum: 2015/Vol 8 No.4/ ISSN 1662-6001.

10. Clive Bates, London; Dr Konstantinos Farsalinos M.D Athens; Prof. Peter Hayek PhD, London; Prof. Riccardo Polosa M.D Catania.

11. Etter J.F.: Should electronic cigarettes be as freely available as Tobacco? Yes. BMJ 2013;346:3845 doi.

12. Etter J.F.: La vérité sur la cigarette electronique. Fayard. Paris 2013.

13. Malka S, Gregori M.: Infiltration. Une taupe à la solde de Philip Morris. Médecine et Hygiène éd. Genève 2005. Deutsche Ausgabe: Wie die Tabakindustrie die Wissenschaft kauft. Orell Füssli, Zürich 2008.

14. Auer Andreas: «Le droit face à la political correctness: la constitutionalité de l' initiative populaire genevoise ‹fumée passive et santé›». octobre 2005.

15. Working paper no 149. March 31, 2014. Department of Economics at the University of Zürich, and June 30, 2014. Working paper no 165.

16. Angeli Th.: Uni Zürich: Tabakmulti darf brisante Studie «überprüfen». Beobachter 26/2014.

17. Laverty A.A., Diethelm P., Hopkinson N.S.: Use and abuse of statistics in tobacco-funded research on standardised packaging. Tob.Control, 2015.

Themenbezogene Interessen (-bindung) der Autorin/des Autors

Rainer M. Kaelin ist FMH-Facharzt für Pneumologie und Innere Medizin. Er war Vizepräsident der Lungenliga Schweiz und der Lungenliga Waadt und ist Vizepräsident von Oxyromandie.

Quelle: http://www.infosperber.ch/Gesundheit/Zigaretten-Die-Manipulation-der-Tabakindustrie-ist-legendar