Red. Der Nationalrat debattiert in der Wintersession über ein Tabakproduktegesetz. Grosse Tabakkonzerme, die in der Schweiz ihr Hauptquartier aufgeschlagen haben, zählen weiterhin auf eine Sonderbehandlung. Rainer M. Kaelin, FMH-Facharzt für Pneumologie und Innere Medizin sowie früherer Vizepräsident der Lungenliga Schweiz, zeigt auf, mit welchen Methoden die Industrie ihre Interessen durchsetzt. Mit Erfolg, wie die ausgewertete Vernehmlassung zeigt. (Zweiter Teil)
Gewerbe und Werbewirtschaft auf Seiten der Tabakkonzerne
Das vom Bundesrat vorgeschlagene Tabakproduktegesetz wird ein «Alibigesetz», denn es entspricht weitgehend den Wünschen der Tabakindustrie und ignoriert die Vorgaben der Rahmenkonvention der WHO zur Kontrolle des Tabakkonsums (Framework Convention on Tobacco Control, FCTC). Die Schweiz hat diese Konvention zwar unterzeichnet, aber als eines von ganz wenigen Ländern nie ratifiziert.
Seit dem Zweiten Weltkrieg begünstigen Staat und Politik die Tabakindustrie in unserem Land. Die grossen Multinationalen Philip Morris (PM), British American Tobacco (BAT) und Japan Tobacco International (JTI) sind wichtiger und einflussreicher Bestandteil der Wirtschaft geworden.
Öffentlich treten diese Firmen selten in Erscheinung. Sie stützen sich seit Jahren auf die Organisationen GastroSuisse, WerbungSchweiz und den Schweizerischen Gewerbeverein (SGV). Die Medien, mehr und mehr von den spärlicher werdenden Einkünften aus der Werbung abhängig, übernehmen weitgehend die Argumentation dieser starken Lobby (siehe Teil I: «Die Schweiz als Zentrale der Zigarettenhersteller»).
Der Einfluss der Tabaklobby manifestierte sich diesen Sommer: Die Mehrheit des Ständerates wies den Entwurf zum Tabakproduktegesetz an den Bundesrat zurück, mit dem Auftrag, die – ohnehin nur fragmentarischen – Werbeverbote zu streichen. Die Rahmenkonvention der WHO FCTC wurde mit keinem Wort erwähnt. Trotzdem behauptete die Kommission, die Jugend schützen zu wollen.
Soweit konnte es nur kommen, weil es in den vergangenen Jahren massiven PR-Aktionen gelang, strukturelle Massnahmen der Tabakprävention zu verhindern oder zu verzögern. Im Einklang mit dem Verhalten des Staates und vieler Politiker, mit den Medien als Komplizen, erklären solche Aktionen das Wohlwollen gegenüber dem Tabak in der Zivilgesellschaft und in den akademischen Institutionen unseres Landes.
Von den Nichtrauchertischen zur Passivrauchinitiative
Seit 1987 hatte PM mit der Agentur Burson Marsteller (1) die Vereinigung der Cafés und Restaurants (heute GastroSuisse) mit folgender Botschaft kontaktiert: Das Einvernehmen zwischen Raucher und Nichtraucher ist eine Frage der Toleranz, der Höflichkeit und ... der Raumventilation. Eine Konvention zwischen der Zigarettenindustrie (Schweizerische Vereinigung der Zigarettenfabrikanten, heute SwissCigarette) und den Gastwirten ermöglichte PR-Aktionen in den Gastwirtschaftsbetrieben (2).
Und dies mit offensichtlichem Erfolg. Im Kanton Luzern zum Beispiel lehnte es der Grosse Rat 1990 ab, durch Gesetz Nichtrauchertische in Restaurants einzuführen. In einer internen Notiz kommentierte PM: «Dieses positive Resultat ist den beträchtlichen Bemühungen des Präsidenten der Café- und Restaurantvereinigunng und des Direktors des kantonalen SGV zu verdanken ... Diese zwei Allierten, Mitglieder des Kantonsparlaments, waren über unsere Argumente gebrieft worden (Toleranz, Höflichkeit und Qualität der Innenluft) (3).»
Erfolgreiche Kampagne gegen die «Zwillingsinitiative»
Die «Zwillingsinitiative» von 1993 hatte zum Ziel, das seit 1965 bestehende Werbeverbot für Alkohol und Tabak in Radio und Fernsehen zu verallgemeinern. Vor der Abstimmungskampagne verschwanden die Tabakreklamen vollständig aus den Werbeflächen. Stattdessen sah man von WerbungSchweiz gezeichnete Plakate «Werbeverbot» mit der Aufforderung «Nein» zu stimmen. Damit wurde die Idee verbreitet, das Volk hätte nicht über ein Werbeverbot für Alkohol und Tabak zu entscheiden, sondern es gehe bei der Abstimmung um ein allgemeines Verbot der Werbung. Die Initiative wurde mit 75 Prozent Nein-Stimmen verworfen.
Die Argumente der damaligen öffentlichen Debatte lassen die Strategie der PR-Agenturen erkennen, das heisst:
- die vorgeschlagenen spezifischen strukturellen Massnahmen als einen Angriff auf ein fundamentales Recht darzustellen;
- die Professionnellen der Prävention als Extremisten zu beschreiben;
- die Information der Bevölkerung über Fragen der Prävention allgemein lückenhaft zu halten.
Man erkennt dieselbe Strategie während der Abstimmungskampagne der Volksinitiative «Schutz vor Passivrauchen» wieder. Es wurde unterstellt, die Initiative wolle das Rauchen verbieten. Man findet diese Argumentation zurzeit ebenfalls wieder in den Stellungnahmen der Kantone und einiger politischer Parteien als Antwort auf die Vernehmlassung zum Tabakproduktegesetz. (siehe 1. Teil)
Interne Dokumente der Industrie skizzieren die PR-Methode, um Werbeverbote zu verhindern oder zu behindern. Drei Stossrichtungen sind vorgezeichnet:
- den Jugendschutz betonen;
- die Selbstkontrolle der Werbung durch die Schaffung einer Lauterkeitskommission verstärken, und
- eine Verbindung zwischen Alkohol und Tabak herstellen (4).
Diese Kommunikationslinie erwies sich als erfolgreich. Die Behauptung, die Zigarettenwerbung richte sich als legitime Information an den erwachsenen Raucher und ziele nicht auf die Jugend, verschleiert die Tatsache, dass Tabakwerbung primär die Funktion hat, ein Produkt, das toxisch ist und abhängig macht, als ein Konsumprodukt wie ein anderes erscheinen zu lassen.
Seine regelmässige Erwähnung in Verbindung mit Alkohol führte dazu, dass die Diskussion um Präventionsmassnahmen nichts Konkretes brachte. Mit dem Einbezug von Alkohol konnte man leicht Verwirrung stifften. Tatsächlich aber bedingen die beiden Substanzen grundsätzlich verschiedene Präventionsansätze: für Alkohol ist mässiger Konsum entscheidend und eine passive Exposition steht nicht zur Diskussion, während beim Rauchen jegliche Exposition vermieden werden sollte, auch von passiv betroffenen Personen.
Mit der parlamentarischen Initiative des damaligen FDP-Ständerates und Präventionsmediziners Felix Gutzwillers von 2004 begann die Debatte über den Schutz der Bevölkerung vor Passivrauchen. Der Bericht der Gesundheitskommission des Nationalrates stützte sich auf eine solide wissenschaftliche Basis, um in der Schweiz den rauchfreien Arbeitsplatz für alle einzuführen.
Das Parlament hatte jedoch auf seiner Agenda gleichzeitig das Präventionsgesetz. Es wurde für die Industrie wichtig, sowohl die Prävention als solche als auch seinen offiziellen «Anwalt», das Bundesamt für Gesundheit (BAG), zu diskreditieren. Dies war das Ziel einer gegen seinen Direktor Professor Thomas Zeltner gerichteten Herabsetzungskampagne. Die Zeitung des Gewerbeverbandes apostrophierte Zeltner 2008 als «Ayatollah der Prävention».
Der Begriff wurde in der Fernsehsendung 10vor10 weiter verbreitet und mit einigen Varianten wiederholt, wenn von Prävention die Rede war.
Beda Stadler: «Erfindungen von Extremisten»
Ärztliche Kollegen wie Professor Beda Stadler sind ebenfalls für den schlechten Ruf der Prävention verantwortlich. Der frühere Immunologe der Universität Bern vermischte in seinen Kolumnen in der NZZ und der Weltwoche auf unterhaltende, aber intellektuell unredliche Weise gesunde Ernährung, Gesundheitsförderung und Schutz vor Passivrauchen und verschrie sie allesamt als moralisierende Eingriffe des Staates in die individuelle Freiheit. Wissenschaftliche Befunde über die Abnahme der akuten Koronarsyndrome nach Einführung der Passivrauchregelungen disqualifizierte Stadler als Erfindungen von Extremisten.
Auf diese Weise wurde es «politically correct» zu behaupten, die Prävention sei ein Angriff gegen die individuelle Freiheit. Diese Auffassung widerspiegelt sich in der Mediendebatte um das Tabakproduktegesetz. Es fällt weitegehend unter den Tisch, weshalb in einem liberalen Rechtsstaat die Werbefreiheit nicht absolut sein kann. Feuerwaffen, Antibiotika, konzentrierte Salzsäure, Tretminen und Ähnliches sind legal erhältlich. Dennoch ist Werbung dafür verboten oder genau definierten Bestimmungen unterstellt, ganz einfach weil diese Produkte gefährlich sind.
Auch Tabak gehört zweifelsfrei zu den gefährlichen Produkten. Sein «legaler Status» ist nur durch die historische Entwicklung zu erklären. Es ist heute unvorstellbar, dass ein Produkt, das bei üblichem Gebrauch die Hälfte seiner Gebraucher umbringt, zum Verkauf zugelassen würde. Und erst recht würde keine Werbung dafür erlaubt.
Dies geschieht in einer Gesellschaft, welche von Gesetzes wegen die Produktehaftung, das Tragen der Sicherheitsgurten, Warnhinweise auf allen technischen Apparaten und vieles mehr vorschreibt. Ein umfassendes Verbot der Tabakwerbung bedeutet kein Verkaufsverbot, sondern verfolgt das legitime Ziel: die Banalisierung des Tabakkonsums zu verhindern. Es stellt daher die Minimalforderung für den Jugendschutz dar.
Die elektronische Zigarette
Ihre Promotoren und die Verfechter eines freien Marktes bagatellisieren die Rolle sowie den Einfluss der Werbung ganz besonders dann, wenn es um E-Zigaretten geht. Die kommerzielle Realität sieht anders aus:
Die Tabakkonzerne haben massiv in die elektronische Zigarette investiert. Sie liefert den nikotinabhängigen Verbrauchern ihre Droge preisgünstig und «ohne die Schädlichkeit des Tabaks».
Es ist nicht plausibel, dass die Industrie beabsichtigt, ihre tabakabhängigen Kunden von ihrer Abhängigkeit zu befreien. Vielmehr ist davon auszugehen, dass diese Industrie darauf abzielt, den Nikotingebrauch bei den Jungen mit Hilfe des neuartigen Gadgets E-Zigarette zu popularisieren und sie weiterhin nikotinabhängig zu machen. Früher oder später werden diese Konsumenten von der elektronischen Zigarette also zur weit wirksameren Verabreichungsmethode, dem Original der Tabakzigarette, greifen, von der sie lange Jahre abhängig bleiben.
Darin besteht die grosse Gefahr, wenn für E-Zigaretten geworben werden darf. Keine Werbung braucht es dafür, dass sie starken Rauchern, helfen können, gesundheitsschädigende Stoffe wie Teer in den üblichen Zigaretten zu vermeiden und allenfalls schrittweise von ihrer Sucht loszukommen.
Bereits aber sind die elektronischen Zigaretten als vielfarbige Spielzeuge in den Pausenhöfen der Schulen angelangt (5), und sie erweisen sich als geeignet, den Griff zur ersten Tabakzigarette bei Jugendlichen vorzubereiten (6). Das Gadget ist auch ein Marketingmittel, das unter Rauchern, Politikern, Erziehungsverantwortlichen und Ärzten Verwirrung stiftet.
Nicht wenige lassen sich instrumentalisieren. So gleicht die Diskussion um die «Schadensverminderung» durch die elektronische Zigarette sehr dem früher bekannten Verkaufsargument der «milden» Zigarette, deren unverminderte Toxizität in den Achtzigerjahren demaskiert wurde (7).
Es bestehen wenige Zweifel darüber, dass die Kontroverse um die elektronische Zigarette von der Industrie gefördert und benutzt wird, um Nikotin als ein banales Genussmittel darzustellen.
Die desinformierte Zivilgesellschaft
Die Worthülsen «individuelle Freiheit», «Eigenverantwortung statt staatliche Prävention», «Prävention ist Bevormundung», «Werbung ist Information des erwachsenen Konsumenten», «Tabak, historisches Genussmittel, ist Teil unserer Kultur» gehorchen einer Kommunikationsstrategie, die zu vertuschen sucht, dass die Industrie eine weltweite Tabakepidemie verursacht und unterhält, deren Grundlage die abhängigmachende Droge Nikotin ist.
Diese Strategie zeigt Erfolg, wie die Antworten auf die Vernehmlassung zum Tabakproduktegesetz zeigen. So akzeptiert das Konsumentenforum KF in seiner Stellungnahme nur die Einführung des Verkaufsverbotes an Minderjährige und die Weiterführung des Werbeverbotes, welche auf Jugendliche zielt. «Der Rest des Tabakproduktegesetzes wird vehement abgelehnt.»
Die Konsumenten, welche auch Eltern, Steuerzahler und Prämienzahler bei Krankenkassen sind, wissen um die Kosten des Tabakkonsums. Dennoch behauptet das von der Wirtschaft mitfinanzierte Konsumentenforum, dass «das Verteufeln von Tabakprodukten aus der Sicht des Konsumentenforums keine Strategie (ist), welche weiteren Erfolg bringt ... Die Mündighkeit ... wird nicht verstärkt, ... weil nicht zwischen Genuss und Sucht differenziert wird.»
Der Entwurf zum Tabakproduktegesetz wird auch von Gesundheitsorganisationen erstaunlich unkritisch beurteilt. So begrüssen die in 14 Vereinigungen insgesamt 52'000 Mitglieder des «Schweizerischen Verbandes der Berufsorganisationen im Gesundheitswesen» «die vorgeschlagenen Elemente zur weitergehenden Einschränkung der Werbung, der Verkaufsförderung und des Sponsorings, sowie ein Verbot der Abgabe von Tabakprodukten an und durch Minderjährige», ohne jedoch auf die Lücken des Verbotes einzugehen.
Auch der «Verein der leitenden Spitalärzte» meint: «Obwohl die allgemeinen Bestimmungen betreffend Werbung und Sponsoring von Veranstaltungen noch zu wenig restriktiv sind, können wir mit dieser Gesetzgebung leben. Wir hoffen indessen, dass die Gesetzesvorlage vom Parlament nicht mehr weiter verwässert wird.»
Leider wurde die ausführliche, kritische Stellungnahme der FMH erst sehr spät, am 26. November 2015, mehr als ein Jahr nach Beginn der Vernehmlassung, erarbeitet und in der Schweizer Ärztezeitung SAeZ (8) veröffentlicht. Sie deckt sich weitgehend mit der Haltung der Allianz für ein wirksames Tabakproduktegesetz. Diese Stellungnahme hätte anderen Organisationen als Vorlage dienen können und mit mehr Nachdruck dem BAG gegenüber die offensichtlichen Lücken des Vorentwurfes unterstrichen.
Gleiches hätte man von «Swiss Public Health» erwartet, der Organisation, welche die universitären Institute für Sozial- und Präventivmedizin vereint. Diese hat sich erstaunlicherweise nie öffentlich zum Tabakproduktegesetz beziehungsweise zur Tabakprävention allgemein geäussert. Auf das Schweigen der ärztlichen Experten als aktive Hilfe an die von Präventionsgegnern orchestrierte Desinformation ist an anderer Stelle hingewiesen worden (9).
Die paradoxeste Stellungnahme zum Vorentwurf des Tabakproduktegesetzes kommt von Professor Jean-François Etter vom «Institut de santé globale» der medizinischen Fakultät der Universität Genf, mitunterzeichnet von europäischen Kollegen (10). Der Kommentator begrüsst die vorgesehene Zulassung der nikotinhaltigen E-Zigarette, aber er ist besorgt, dass diese Geräte unter das Tabakproduktegesetz fallen und damit denselben Restriktionen unterworfen werden sollen wie die weit schädlicheren Tabakprodukte: «Werbung für elektronische Zigaretten sollte weniger beschränkt werden als für Tabakprodukte ... dies würde gewährleisten, dass Raucher über diese Produkte informiert sind und ermutigt werden, von der Verbrennungszigarette auf sicherere Produkte umzusteigen ... Die Anwendung einer Gesetzgebung, die primär für Verbrennungstabak gedacht ist, auf elektronische Zigaretten wird Wirkungen zeitigen, welche den Zielen (Begrenzen der toxischen Effekte des Tabakkonsums) gegenläufig sind ... Übermässige Beschränkungen der Werbung und hohe Steuern werden die Entwicklung des Marktes der elektronischen ZIgarette behindern.»
Diese Aussagen wiederholen, oft wörtlich, die Stellungnahmen der Kantone Neuenburg und Waadt, welche mit dem Tabakproduktegesetz die lokale Wirtschaft fördern wollen (Teil I). Jean-François Etter hat seine Argumentation in professionellen (11) und Laienpublikationen (12) oft wiederholt. Er behauptet, das Spiel des freien Marktes werde die Nachfrage der E-Zigarette unter den Rauchern, die aufhören möchten, steigern und diese würden von der Tabakzigarette auf «weniger toxische Produkte» umsteigen. Dies würde den Tabakkonsum «automatisch» reduzieren und der Tabak-Epidemie weltweit Schranken setzen. Deswegen sollte für die E-Zigarette frei Werbung gemacht werden dürfen.
In diesen Überlegungen stellt man Ungereimtheiten fest: Falls die elektronische Zigarette eine echte Konkurrenz zur Tabakzigarette wäre, sollte sie eine wirksame Rauchstopphilfe sein, was nicht der Fall ist. Eine weite Verbreitung und Förderung der E-Zigaretten banalisiert das Rauchen und bietet der Tabakepidemie keinen Einhalt. Denn die meisten Raucher von E-Zigaretten werden zu Doppelkonsumenten, das heisst sie «vapen» E-Zigaretten und rauchen Tabakzigaretten – ganz so wie es die Tabakkonzerne wünschen. Die Konzerne wollen ihren Zigarettenabsatz sicher nicht gefährden.
Konzerne wollen ihren Zigarettenabsatz nicht gefährden
Es ist nicht plausibel, dass die Tabakkonzerne massive Summen in den Markt der E-Zigaretten investieren, um ihren Kunden zu helfen, sich von ihrer Tabakabhängikeit zu befreien. Anders ausgedrückt: warum würden sie ihren eigenen Primärmarkt sabotieren wollen?
Offensichtlich ignoriert der Genfer Professor Etter das starke Potenzial des Nikotins, Abhängigkeit zu erzeugen und zu erhalten. Auf dieser Abhängigkeit beruht das Geschäft mit den industriell hergestellen Tabakzigaretten.
Es wäre von öffentlichem Interesse, dass Professor Jean-François Etter offenlegt, ob er aus Kreisen der Tabakindustrie geldwerte Leistungen bezieht.
Instrumentalisierung der akademischen Institutionen
Die Frage ist nicht aus der Luft gegriffen. Der Schweizerische Verband der Zigarettenfabrikanten SVZ (heute Swiss Cigarette) investierte zwischen 1962 und 1994 jährlich mehrere Hundertausend Franken in die Grundlagenforschung und in die Forschung zur Atemphysiologie in allen universitären Institutionen der Schweiz. Von 1962 bis 1977 wurde Professor Etienne Grandjean und seine Gruppe an der ETH für Studien zur Passivraucherexposition bezahlt. Die Finanzierung wurde unterbrochen, weil seine Mitarbeiterin die Gesundheitsfolgen der exponierten Versuchspersonen veröffentlichte, was nicht dem Forschungsplan des SVZ entsprach.
Professor Karl Baettig von der ETH Zürich leitete von 1964 bis 1994 vom SVZ finanzierte Forschungen über die Psychopharmakologie des Nikotins. Professor Dauwalder von der Universität Lausanne erhielt während Jahren Finanzierungen für seine Arbeiten zur Verhaltenspsychologie. Er war Mitglied einer Gruppe von Soziologen, Psychologen, Ethikern und Wissenschaftlern, genannt ARISE, welche von PM seit 1988 finanziell unterstützt wurden, um die Wirkung der «kleinen täglichen Freuden» (wie Schokolade, Kaffee, Wein, Süssigkeiten sowie der Genusszigarette) auf das psychische Gleichgewicht zu erforschen.
Professor Ragnar Rylander vom Institut de médecine sociale et préventive der Universität Genf (heute Institut de médecine globale), gleichzeitig Professor an der Universität Göteborg, erwies sich 2003 als «unabhängiger» Wissenschaftler, der sich heimlich von Philip Morris International PMI jährlich zwischen 80-100'000 Dollar bezahlen liess. Er hielt am «wissenschaftlichen Zweifel» über die Toxizität des Passivrauchens fest, obwohl dies seinen eigenen Forschungsresultaten widersprach.
Rylanders Wissenschaftsbetrug war Gegenstand eines langen Gerichtsprozesses (13), der durch seine Klage auf Verleumdung ausgelöst worden war. Dennoch verurteilte die Universität Genf sein Verhalten, wenn auch sehr zögerlich.
Die Universität Genf hatte schon 2001 ihren Mitgliedern empfohlen, keine Finanzierungen durch die Tabakindustrie anzunehmen. Dennoch verfasste Professor Andreas Auer 2005 ein Rechtsgutachten für JTI , das während der kantonalen Kampagne für die Passivrauchgesetzgebung veröffentlicht wurde. Er schloss, dass «es nicht bewiesen (sei), dass Passivrauchen der Gesundheit schade», und dass die vorgesehene Gesetzgebung gegen die Verfassung verstosse, da sie in unverhältnismässiger Weise die individuelle Freiheit beschränke.
Ohne die Empfehlungen der WHO zu berücksichtigen hatte er sich auf Studien abgestützt, welche ihm JTI zur Verfügung gestellt hatte. Diese hatten eine ältere Population untersucht, was von den Epidemiologen schon lange als inadäquat erkannt worden war, um die gestellte Frage zu beantworten.
Die aktuellen Studien der Professoren Kaul und Wolf der Universitäten Zürich und des Saarlandes zum «plain packaging» (neutrale Zigarettenpackung, welche weder Logo noch spezifische Schriftzüge aufweist), sind von zweifelhafter Qualität. Sie wurden von PMI finanziert, die sich im Vertrag das Recht ausbedungen hatte, bei der Formulierung der Schlussfolgerungen mitzureden (16).
Diese wurden mit Recht kritisiert, da die angewandte statistische Methode nicht adäquat ist, um zu folgern, dass das «plain packaging» in Australien nicht zu einer Verminderung der Raucherzahlen beigetragen habe. Diese Aussage sei irreführend. Der Rektor der Universität wurde aufgefordert, die Studie zurückzuziehen, was er verweigerte, obwohl eine Neuanalyse des Datenmaterials mit einer anderen statistischen Methode zum gegenteiligen Schluss kommt (17).
Die Tabakkonzerne schleichen sich in die akademische Welt ein und verfolgen damit systematisch ihre Ziele. Man stellt fest, dass die Institutionen verspätet reagieren, um die Angriffe auf ihre Integrität zu sanktionieren. Die Öffentlichkeit ist kaum über diese Interessenkonflikte innerhalb der Universität informiert, da die Medien selten und meist lückenhaft darüber informieren.
Wiederholt irregeführt und manipuliert
Die Tabakindustrie hat sich in der Schweiz eingenistet, weil sie von den Vorteilen eines liberalen, im geographischen Zentrum Europas gelegenen Staates profitieren konnte. Sie hat sich in der Schweiz verwurzelt, besonders seit die USA ihr Geschäft zunehmend gesetzlich einschränkten.
Obwohl das vorgeschlagene Tabakproduktegesetz die Prävention noch zu wenig ernst nimmt, bekämpft es die Industrie. Die parlamentarische Debatte und die Mehrheitsentscheide in diesem Seilziehen werden aufzeigen, wieweit unsere Volksvertreter sich der Manipulationen bewusst sind, deren Gegenstand sie sind. Sie sind aufgerufen sich zu positionieren und zu beweisen, dass sie willens sind, das höhere Interesse der Gesundheit ihrer Wählerinnen sowie Wähler den Druckversuchen und zweifelhaften Manövern der Industrie vorzuziehen.
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Referenzen zu diesem zweiten Teil:
1. An accomodation strategy in EEMA. A strategic brief. 1990.05.07. Bates No 201 181862_1887 URL.www.pmdocs.com
2. Document «Switzerland 1987 Objectives Philip Morris (...) regelmässig werden in der Zeitschrift der Hotel/Restaurants Vereinigung Artikel zum Thema Passivrauchen veröffentlicht, ohne Erwähnung der Tabakindustrie. Eine Konvention wurde unterzeichnet zwischen SVZ und der Hotel/Restaurant Vereinigung, welche eine PR-Kampagne in 1800 Restaurants ermöglicht». BatesNumber 2501240585_0599URL www.pmdocs.com
3. Raymond Pantet, Director of public affairs. Philip Morris, July 12. 1990 (Bates Number 2024195742).
4. R.J. Reynolds A.G. Switzerland : Swiss Advertising Ban. Case study. November 28.1993.
5. Barben J.: Die E-Zigarette: eine neue Gefahr für unsere Kinder. Pädiatrica. vol 25, Nr 3. 2014.
6. Leventhal A.M., Strong D.R., Kirkpatrick M.G., et al.: Association of Electronic Cigarette Use With Initiation of Combustible Tobacco Smoking in Early Adolescence. JAMA; 314(7): 700-707.
7. Department of Health and Human Services; The health consequences of smoking. The Changing Cigarette. Report of the Surgeon General. 1981.
8. Weil B.: Prise de position: Interdiction de la publicité pour le tabac. Bulletin des médecins suisses. 2015;96(48),1750-1751
9. Kaelin R.M.: Le silence des experts médicaux (3). La responsabilité publique des médecins au sujet de l' initiative «Protection contre la fumée passive». Bioethica Forum: 2015/Vol 8 No.4/ ISSN 1662-6001.
10. Clive Bates, London; Dr Konstantinos Farsalinos M.D Athens; Prof. Peter Hayek PhD, London; Prof. Riccardo Polosa M.D Catania.
11. Etter J.F.: Should electronic cigarettes be as freely available as Tobacco? Yes. BMJ 2013;346:3845 doi.
12. Etter J.F.: La vérité sur la cigarette electronique. Fayard. Paris 2013.
13. Malka S, Gregori M.: Infiltration. Une taupe à la solde de Philip Morris. Médecine et Hygiène éd. Genève 2005. Deutsche Ausgabe: Wie die Tabakindustrie die Wissenschaft kauft. Orell Füssli, Zürich 2008.
14. Auer Andreas: «Le droit face à la political correctness: la constitutionalité de l' initiative populaire genevoise ‹fumée passive et santé›». octobre 2005.
15. Working paper no 149. March 31, 2014. Department of Economics at the University of Zürich, and June 30, 2014. Working paper no 165.
16. Angeli Th.: Uni Zürich: Tabakmulti darf brisante Studie «überprüfen». Beobachter 26/2014.
17. Laverty A.A., Diethelm P., Hopkinson N.S.: Use and abuse of statistics in tobacco-funded research on standardised packaging. Tob.Control, 2015.