Sehr geehrter Herr Mag. Hofer!
Im ORF-Report sagten Sie: http://tvthek.orf.at/profile/Report/11523134/Report/13904392/Das-Ende-der-Zigarettenautomaten/13961206
(ab 4:20)
"Ich finde auch, dass es unbefriedigend ist, wenn da und dort eine
Studie auftaucht, die sagt: 'Ja aber die Jugendlichen sagen, wir
haben's aus der Trafik', und andere sagen wieder: 'Nein, nein, die
Trafikanten machen das hervorragend'. Das gehört klar
aufgeklärt,... und untersucht, und dann kann man anhand dieser
Untersuchung sagen, wo steht man und wie kann man sich noch besser
entwickeln."
Deshalb möchte ich vor unserem Gespräch am
17.2. klarstellen, dass ich nicht über Studien diskutiere, die
von Interessensvertretern (Trafikanten, Tabakindustrie, etc.)
beauftragt, bezahlt oder durchgeführt wurden. Meine Aussagen
bezogen sich auf eine rezente Studie der MUW, zwei älteren
Studien im Auftrag der Steirischen und der
Oberösterreichischen Landesregierung, sowie
europäischen Studien, die in internationalen Journals mit Peer
Review veröffentlicht wurden und für die alle ein
Interessenskonflikt ausgeschlossen wurde.
Ihre APA-Meldung
klingt wie eine Aussendung der Trafikanten, obwohl Sie doch das BMF
vertreten sollten. Die Gefahren, die von Tabakprodukten ausgehen, sind
bekannt. Sie töten die Hälfte ihrer Konsumenten
vorzeitig, sie haben eine hohe Suchtpotenz, sie schädigen
sogar Personen, die diese Produkte selbst nicht konsumieren wollen. Nur
um zu verdeutlichen, wie schwach die derzeitige Kontrolle ist,
möchte ich sie mit Produkten vergleichen, von denen ebenfalls
Gefahren ausgehen können: mit Medikamenten.
Tabakprodukte sind
- kanzerogen (=krebserregend, sie verursachen etwa ein
Viertel aller Karzinome, das sind in Österreich fast 10.000
Krebsfälle pro Jahr)
- chronisch toxisch (=giftig, sie verursachen COPD,
Schlaganfall, Herzinfarkt, Raucherbein, fördern Bluthochdruck,
Diabetes, Allergien, Infekte...),
- teratogen (= sie schädigen das Ungeborene, sie
führen zu Missbildungen und Fehl- und Totgeburten)
- mutagen (=sie verändern das Erbgut, sie
führen zu Schäden, die an kommende Generationen
weitergegeben werden)
- entwicklungstoxisch (=sie schädigen
Heranwachsende, besonders Lungen- und Hirnentwicklung, frühes
Rauchen verkürzt das Leben besonders stark)
- süchtig machend (die Suchtpotenz ist hoch, sie
liegt zwischen Barbituraten und Kokain)
Jedes Medikament mit nur einer dieser Eigenschaften wäre
(trotz einer gleichzeitigen Heilwirkung) zumindest
verschreibungspflichtig und apothekenpflichtig, oder würde
sofort vom Markt genommen. Immer wieder wird argumentiert, dass
Tabakprodukte ein "legales Genussmittel" sind. Genau das macht sie aber
so problematisch, Genussmittel sind weit verbreitet, es gibt kein
Medikament, das nur annähernd so oft verkauft wird wie
Zigaretten. Deshalb muss die Regulierung zwangsläufig
besonders streng erfolgen. In Österreich rauchen mehr Kinder
und Jugendliche als in anderen Ländern. Der Grund ist, dass
sie besonders leicht an Tabakprodukte herankommen, sonst wäre
die extreme Zahl der jugendlichen Raucher gar nicht möglich.
Nun stellt sich die Frage, ob man so ein gefährliches Produkt
weiterhin über Automaten abgeben darf.
- Jugendschutzvorkehrungen (Überprüfung des
Alters über die Bankomatkarte) können leicht umgangen
werden.
Es genügt, sich die Karte von einem älteren Freund zu
leihen. Das lässt sich auch in Zukunft nicht vermeiden.
- Es gibt alte Automaten ohne Einschubfach. Abgelaufene
Bankomatkarten genügen nachweislich, um an Zigaretten
heranzukommen.
- Nahezu alle Zigarettenautomaten entsprechen nicht den
Vorschriften der TPD2. In der jetzigen Form ist die Abgabe von
Zigaretten über Automaten eindeutig illegal. Der Kunde wird
nicht ausreichend gewarnt, er wird sogar mutwillig getäuscht.
Grafische gesundheitsbezogene Warnhinweise (sog. Schockbilder) werden
durch die Art der Abbildung versteckt (Zigarettenschachteln werden so
gedreht, dass die Warnhinweise nicht erkennbar sind). Damit droht nicht
nur das Verbot von Zigarettenautomaten, auch Klagen durch die
getäuschten Konsumenten sind möglich.
Es ist zumutbar, dass sich erwachsene Raucher ihr Produkt aus der
Trafik besorgen, die meisten Lebensmittel und Medikamente sind auch
nicht über Automaten verfügbar. Der Trafikant muss
einen Ausweis verlangen, das Bewusstsein, dass man ein
gefährliches Produkt erwirbt, steigt dadurch. Die Trafikanten
hätten deshalb kurzfristig keinen Verlust zu erwarten, das
Geschäft verlagert sich lediglich in die Trafik. Die MVG hat
die Aufgabe... auf die Einhaltung der für den Kleinhandel
geltenden Rechtsvorschriften... zu achten ( MVG
§ 14. (1) ). Das
gilt natürlich auch für den Jugendschutz.
Nun hat die MVG eine Ausweiskontrolle unter dem
Namen "Alter check's!" eingeführt. Die
Einhaltung durch die Trafikanten wird in folgender Form
überprüft.
Bei Verstößen sind theoretisch folgende Sanktionen
vorgesehen:
Sind die vorgesehenen Kontrollen und Strafen angesichts der extremen
Anzahl an rauchenden Jugendlichen tatsächlich ausreichend,
wenn ein süchtig machendes, potentiell todbringendes Produkt,
illegal von Trafikanten an Jugendliche abgegeben wird?
Zum Vergleich:
- Im Straßenverkehr liegt die Zahl die
Todesfälle weit unter 1000, durch Tabakprodukte sterben
jährlich ca. 12.000.
- Im Straßenverkehr kontrolliert die Polizei, so
gut wie jeder ertappte Verstoß zieht sofort eine Geldstrafe
nach sich, der Führerschein wird häufig entzogen,
eventuell droht sogar eine Haftstrafe. Bei Tabakprodukten gibt es
lediglich ein Kontrolle durch die MVG mit zahnlosen Sanktionen.
Dabei könnte die MVG durchaus Verstöße
gegen den Jugendschutz mit ausreichend abschreckenden
Maßnahmen sanktionieren.
- MVG
§ 35. (2) Der
Bestellungsvertrag ist durch die Monopolverwaltung GmbH zu
kündigen:
3. wenn der Tabaktrafikant infolge schwerwiegender
Verstöße gegen die im Zusammenhang mit der
Führung der Tabaktrafik zu beachtenden Rechtsvorschriften
und Schutzinteressen, insbesondere auch zur Wahrung des
Ansehens des Berufsstandes, die für die Führung der
Tabaktrafik erforderliche Zuverlässigkeit nicht mehr besitzt;
Wenn hier nicht alle Möglichkeiten
ausgeschöpft werden, dann kann man davon ausgehen, dass die
MVG den Jugendschutz nicht ernst nimmt.
Tabakprodukte haben keinerlei positiven Auswirkungen.
- Als Trafikanten werden zwar Personen mit
Beeinträchtigungen und Behinderungen bevorzugt (2016 wurden 57
Verkaufsstellen an sie vergeben), Tabakprodukte verursachen
aber ein Vielfaches mehr an Beeinträchtigungen und
Behinderungen (Lähmungen durch
Schlaganfälle, Schwäche und Schmerzen nach einem
Herzinfarkt, verstümmelnde Operationen durch Krebs, schwerste
Atemnot bei COPD, Sehschwäche bis Blindheit, etc.).
- Es ist nicht klug, Menschen mit Behinderung in einem
Wirtschaftszweig unterzubringen, der auch in Zukunft immer weiter
eingeschränkt werden wird. So schafft man keinen sicheren
Arbeitsplatz.
- Die Tabaksteuer deckt nicht ansatzweise die durch das
Rauchen entstehenden Kosten. Der volkswirtschaftliche Schaden ist laut
IHS enorm.
Es ist falsch, die Tabaksteuer als Einnahmequelle für den
Staat zu sehen.
Tabakprodukte sind legal, diese Legalität berechtigt aber zu
nichts. Im Gegenteil, die Legalität eines potentiell
todbringenden Suchtmittels bringt Verpflichtungen mit sich. Die MVG ist
kein Serviceunternehmen der Tabakindustrie, sondern eine staatliche
Einrichtung, die auch Kontrollfunktionen wahrzunehmen hat. Diese
Kontrollen sind im Jugendschutz derzeit noch völlig
unzureichend, das sehen Sie an der extremen Zahl an rauchenden
Jugendlichen in Österreich.
Wenn Sie Ihre Rolle nicht als Serviceunternehmen des Tabakhandels,
sondern als staatliche Kontrollinstitution verstehen, werden wir am
17.2. ein konstruktives Gespräch führen
können, bei dem ich Ihnen gern über Erfahrungen
anderer Kontrollinstitutionen (z.B. in Irland, Ungarn, etc.) berichten
kann, die mit europäischen und nationalen NGOs (wie www.aerzteinitiative.at
in Österreich) gut kooperieren.
Mit freundlichen Grüßen, Univ.Prof. Dr. Manfred
Neuberger