wmw skriptum 2020; 16, 05: 20-23.
Springer-Medizin (Pneumologie)
In der Tabakkontrolle
stieg Österreich vom letzten Platz in der EU auf Platz 20 auf.
Weitere Verbesserungen sind dringend nötig
Manfred Neuberger, Wien
Hauptursache für den Aufstieg Österreichs in
https://www.tobaccocontrolscale.org/TCS2019.pdf der Europäischen
Krebsgesellschaften war das Inkrafttreten der rauchfreien Gastronomie
am 1. Nov. 2019,
das wir der Aufdeckung eines Korruptionsskandals in Ibiza und der
Übergangsregierung zu verdanken haben. Wir waren seit 2007 das
Schlusslicht und gaben 2020 bei der 8. Europäischen Konferenz
Tabak oder
Gesundheit in Berlin die rote Laterne an Deutschland ab. Mitbeteiligt
am österreichischen Erfolg waren die 5.205 Kontrollen, die das
Wiener Marktamt noch 2019 durchführte und die zu 113 Anzeigen
führten
(im November noch 93, im Dezember nur mehr 20), die in 83 Fällen
wegen Missachtung des Rauchverbotes und in 30 Fällen wegen des
Fehlens einer Kennzeichnung des Rauchverbotes gemacht wurden.
Leider sind andere Bundesländer noch nicht diesem Beispiel
gefolgt, sodass Fragen zur Implementierung des Gesetzes offen bleiben,
umso mehr als sogar in Wien eine Studie in denselben Lokalen vor und
nach Inkrafttreten des Rauchverbotes zeigte, dass PM2.5. PM1 und die
Ultrafeinstaubbelastung (Tab. 1) zwar signifikant abnahmen, aber
einzelne Lokale auch 2020 noch immer durch Tabak- oder E-Zigaretten
kontaminiert wurden [1].
NR-Bereich vorher / nachher
R-Bereich vorher / nachher
Mittelwert
148
77
443 79
Median
108 56
402 60
Std.Abweichung
152
71
311 74
Minimum
16
8
75
13
Maximum
821
338
1411 334
Tab. 1: Lung Deposited Surface Area (µm²/cm³) vor und
nach dem Rauchverbot am 1.11.2019 in 39 Wiener Lokalen [2]
Gleichstellung
von Tabak- und E-Zigaretten
Österreichs Aufstieg beim EU Ranking der Tabakkontrolle ist zum
Teil auch auf die gesetzliche Gleichstellung von Tabak- und
E-Zigaretten bei Werbe-, Versandhandels- und Verwendungsverboten
zurückzuführen.
Aber zur Implementierung der Verwendungsverbote von E-Zigaretten,
Shisha und anderen inhalierten Nikotinprodukten in Lokalen fehlen noch
Kontrollen. Auch Werbung und Handel im Internet müssten für
alle
Nikotinprodukte unter Kontrolle gebracht werden. In Australien sind
nikotinhältige E-Zigaretten nur über ärztliche
Verschreibung erhältlich und damit der kleinen Gruppe
aufhörwilliger Raucher vorbehalten, bei denen
alle psychologisch und medikamentös unterstützten
Aufhörversuche gescheitert sind. Dagegen führen die auf dem
freien Markt beworbenen E-Zigaretten und Tabakerhitzer zu Konsumenten,
die nie mit dem
Tabakrauchen begonnen hätten, aber mit diesen neuen
Nikotinprodukten ihre Wahrscheinlichkeit verdreifachen, Tabakraucher zu
werden.
Das Ziel von Tabakindustrie und -handel ist nicht, die
Abstinenzversuche von Rauchern zu unterstützen, sondern im
Gegenteil, möglichst viele neue Kunden zu gewinnen, möglichst
junge Konsumenten und es
Nikotinsüchtigen schwer zu machen, ihr Produkt zu verlassen.
Die Raucherprävalenz und die nach einer Latenz folgenden
Krankheiten und Sterbefälle durch Raucherkrankheiten zeigen zwar
bei Männern in Österreich schon länger einen
Rückgang, aber die Zunahme von
Sterbefällen durch Raucherkrankheiten bei Frauen soll in
Österreich erst 2032 ihren Gipfel erreichen [3], während sie
ihn in der EU schon 2019 überschritten hat (Abb.1). Der Siegeszug
der E-Zigarette in
Nordamerika hat die Industrie ermutigt, sie auch in Europa aggressiv zu
bewerben und in manchen Ländern wie England schon
gesellschaftsfähig zu machen. Auch in Österreich werden
E-Zigaretten vermarktet,
die in den U.S.A. bei der Verführung von Jugendlichen so
erfolgreich waren, weil ihre Nikotinsalze den Blutspiegel von Nikotin
besonders rasch und hoch ansteigen lassen, sodass die Wirkung auf das
Gehirn und
die Suchtbildung der von Tabakzigaretten entspricht. Industrie und
Händler beruhigten damit, dass in der EU nur eine geringere
Nikotinkonzentration zulässig sei. Doch um das zu kompensieren,
wurde in den
Produkten für den EUMarkt ein größerer Docht eingebaut,
der dreimal so viel Nikotin abgibt wie der in den USA [4].
Abb. 1: Altersstandardisierte attributable Mortalität durch
Raucherkrankheiten in Österreich und Nachbarländern, mit 95 %
Vertrauensintervallen für die Prognosen, modifiziert aus Janssen
et al. [3], veröffentlicht
unter der Lizenz Creative Common BY-NC-ND 4.0.
https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/deed.de)
Akute
Dampferkrankheit
Ein Rückschlag für den US-Markt war 2019 das Auftreten der
Akuten Dampferkrankheit (E-cigarette or vaping associated lung injury
– EVALI), durch die es in 8 Monaten zu 2807 Spitalsaufnahmen kam
(76 % jünger als 35 Jahre), mit gastrointestinalen und
respiratorischen Symptomen, bilateralen Pneumonien ohne infektiöse
Ursache und ARDS [5]. Zwar hatten viele mit E-Zigaretten nicht nur
Nikotin, sondern
auch Cannabis konsumiert, das sich mit Vitamin-E-Azetat strecken
lässt, aus dem sich durch Pyrolyse das Lungengift Keten bildet,
doch waren auch E-Zigaretten ohne diese Zusätze Auslöser der
Erkrankung
und im Tierversuch verursachte das E-Zigarettenaerosol (ohne
Zusätze) vergleichbare akute Lungenschäden [6], wobei neben
(wechselnden!) Inhaltsstoffen auch die Korngröße des
Aerosols, die Spannung und
die Heizwendel (Cr, Ni) der E-Zigaretten das Krankheitsbild zu
bestimmen scheinen. Vereinzelte akute Erkrankungen durch E-Zigaretten
und Tabakerhitzer wurden auch in Kanada, Europa, Japan und
Südamerika
publiziert, aber dort bestand nie eine Meldepichtwie in USA. Seit
Auftreten der COVID19-Epidemie wurde die Erkennung von EVALI noch
schwieriger. Weltweit gesichert sind allerdings die chronischen
Gesundheitsrisken von E-Zigaretten und erhitztem Tabak für Gehirn,
Lunge [7], Herz und Blutgefäße [8], wenngleich die
Manifestation der Folgen bisher nur in Querschnittsstudien und
Tierversuchen bestätigt wurde.
Zwar hat das österreichische Tabakgesetz E-Zigaretten mit
Tabakzigaretten gleichgestellt, aber leider nicht beim Verbot
charakteristischer Aromen. 2019 ergab eine Umfrage an 13-
bis16-jährigen Schülern, dass
schon 38,4 % Erfahrung mit Nikotinprodukten hatten, davon verwendeten
Mädchen/Buben zu 77/62,5 % Tabakzigaretten, zu 45,6/53,8 % Shisha
und zu 33,8/44,4 % E-Zigaretten [9]. Die am 1.1.2019 in Kraft
getretenen Jugendschutzgesetze wurden bisher kaum kontrolliert und
führten daher noch zu keiner ausreichenden Reduktion der
Raucherprävalenz. Kinder werden nach wie vor in Trafiken gelockt,
sind dort
Tabakwerbung und -rauch ausgesetzt und Jugendliche unter 18 Jahren
erhalten in Tabakverkaufsstellen und am Zigarettenautomaten weiterhin
Nikotinprodukte [9]. Minderjährigen sollte geholfen und
Tabakhändler
bestraft werden, die ihnen Nikotinprodukte verkaufen. Seit 20.5.2019
ließe sich der Verkäufer vom Erkennungsmerkmal auf der
Zigarettenpackung eruieren.
Maßnahmen umgebender Länder
2010 machte Bayern seine Gastronomie, Spitäler und Schulen
rauchfrei. 2012 reduzierte Ungarn seine Tabakverkaufsstellen auf ein
Achtel, untersagte jede Außenwerbung sowie den Zutritt von
Personen unter 18
Jahren. Zigarettenautomaten sind – wie bei der Mehrzahl der
EU-Mitglieder – verboten. Tschechien machte 2017 alle
Gaststätten und Spitäler rauchfrei, ebenso die
Schulliegenschaften sowie die Haltestellen
öffentlicher Verkehrsmittel (seither sind Asthmaanfälle
zurückgegangen). Schon seit 2007 hat Slowenien rauchfreie
Innenräume mit Gleichstellung von E-Zigaretten, seit 2017
Rauchverbot im Auto bei Anwesenheit
Minderjähriger und vor allem ein totales Tabakwerbeverbot (samt
Verbot des Zur-Schau-Stellens am Verkaufsort, Promotions- und
Sponsoringverbot) und ab 2020 die Einheitsverpackung für
Zigaretten) und führt
Testkäufe (Mystery Shopping) zur Alterskontrolle durch.
Österreich hatte die Gesetzesnovelle zum Nichtraucherschutz 2015
beschlossen, doch vor Inkrafttreten 2018 wurde die rauchfreie
Gastronomie wieder
abgesagt, weil bestimmte Parteien und die Wirtschaftskammer den
Jugendschutz für weniger wichtig hielten als die Geschäfte
ausländischer Tabakkonzerne und ihrer österreichischen
Händler. Als Feigenblatt wurde
zwar ein Rauchverbot im Auto beim Mitführen Minderjähriger
beschlossen, aber nicht wie in Italien und anderen Ländern durch
die Exekutive kontrolliert. Als eines der letzten EU-Mitglieder hat
Österreich am
1.1.2019 das Schutzalter von 16 auf 18 Jahre angehoben, aber für
Testkäufe durch eine unabhängige Stelle wurden in etlichen
Bundesländern noch nicht einmal die gesetzlichen Voraussetzungen
geschaffen. Die
endlich am 1.11.2019 in Kraft getretene rauchfreie Gastronomie
wurde bisher nur in Wien systematisch kontrolliert, Tabaksteuern werden
nur selten und gering angehoben und bisher floss kein Cent davon in
die
Tabakprävention. Dabei wären gesundheitliche und
wirtschaftliche Vorteile einer restriktiveren Tabakpolitik unbestritten
[10].
Resümee
Die rauchfreie Gastronomie hat das Passivrauchen von Gästen und
Personal reduziert, braucht aber noch Kontrollen. Der Jugendschutz vor
Tabakindustrie und -händlern ist rückständig, weil
Nikotinprodukte zu
billig und an zu vielen Stellen leicht zugänglich sind.
Verbesserungen wie in Nord- und Westeuropa sowie manchen unserer
Nachbarländer sind dringend erforderlich: Testkäufe zur
Alterskontrolle durch eine
unabhängige Stelle, Abschaffung der Zigarettenautomaten, Verbot
der Werbung und Zur-Schau-Stellung von Zigaretten, wo
Minderjährige Zutritt haben, Einheitsverpackung für
Tabakwaren und in allen
Nikotinprodukten Verbot von Suchtverstärkern und von Aromen, die für Kinder
attraktiv sind.
Literatur
1. Sima A et al. Erste Erfolge der rauchfreien Gastronomie. Freier
Vortrag Jahrestagung 2020 der Österreichischen Gesellschaft
für Arbeitsmedizin, 2.10.2020.
2. Szettele AL et al. Ultrafeinstaub in Wiener Lokalen mit Raucherbereichen
vor und nach dem 1.11.2019 (in Vorbereitung).
3. Janssen F, El Gewily S, Bardoutsos A (2020) Smoking epidemic in
Europe in the 21st century. Tob Control 2020 Aug 7. doi:
10.1136/tobaccocontrol-2020-055658. Epub ahead of print.
4. Mallock N, Trieu HL, Macziol M, et al (2020) Trendy e-cigarettes
enter Europe: chemical characterization of JUUL pods and its aerosols.
Arch Toxicol 2020;94(6):1985-1994.
5. Neuberger M (2019) Akute Dampferkrankheit. Hausarzt 11:24-25.
6. Kleinman MT, Arechavala RJ, Herman D, et al (2020) E-cigarette or
Vaping Product Use-Associated Lung Injury Produced in an Animal Model
From Electronic Cigarette Vapor Exposure
Without Tetrahydrocannabinol or Vitamin E Oil. J Am Heart Assoc
9(18):e017368.
7. Scientific Committee on Health, Environmental and Emerging
Risks. Preliminary Opinion on electronic cigarettes, Sept. 23,
2020.
https://ec.europa.eu/health/sites/health/files/scientific_committees/
scheer/docs/scheer_o_017.pdf
8. Neuberger M (2019) Effects of Involuntary Smoking and Vaping on the
Cardiovascular System. Int J Occup Environ Med 1(1):10-18.
9. Berger J, Neuberger M (2020) Occupational and Environmental Health
Benefits of Smoking Ban not yet Arrived in Austrian Youth. Int J Occup
Environ Med 1(2):1-9.
10. Neuberger M (2020) Restriktive Tabakpolitik in Österreich:
Positive Auswirkungen und verbleibende Defizite. Jatros Pneumologie
2:17-19.